Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will noch abwarten, bevor er eine vierte Impfung empfiehlt. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Noch sei die Datenlage zu unklar, betont der SPD-Gesundheitsminister in der Talkshow „Hart aber fair“. Öffnungsschritte wie in Großbritannien wären in Deutschland fatal, sagt Lauterbach.

Berlin - Sehr häufig wird in Frank Plasbergs Talkshow „Hart aber fair“ kräftig gestritten oder zumindest kontrovers diskutiert – an diesem Montagabend aber mutierte die Sendung zum Thema Omikron-Variante fast zu einer „One-man-show“. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist es sowieso gewohnt, viel Redezeit an sich zu ziehen; am Montag wurde er zudem ständig aufgefordert zu sprechen. Immerhin liegt ein Stück weit die Entwicklung der Pandemie in Deutschland in seinen Händen. Da wurden die vier anderen Gäste Plasbergs fast zur Staffage.

Die Hausärztin Anke Richter-Scheer mischte sich am ehesten noch ein. Sie forderte, dass zumindest die ältere Bevölkerung „schnellstmöglich“ zum vierten Mal geimpft werde. Karl Lauterbach hält es ebenfalls für wahrscheinlich, dass eine vierte Impfung notwendig wird. Allerdings sagte er: „Die bisherigen Ergebnisse aus Israel sind nicht so überzeugend.“ Er werde deshalb erst eine Empfehlung aussprechen, wenn die Studienlage und die Situation klar seien. Womöglich sei aber ein Abstand von sechs Monaten zwischen dritter und vierter Impfung optimal.

Es gibt genügend Impfstoff – aber vor allem von Moderna

Daneben beklagte sich Richter-Scheer darüber, dass sie für ihre Praxis zu wenig Impfstoff erhalte und vor allem beim Biontech-Impfstoff die Impfzentren bevorzugt würden. Mitte Dezember war Lauterbach ja selbst mit der Hiobsbotschaft an die Öffentlichkeit getreten, dass die bislang bestellten Dosen bei weitem nicht ausreichen würden. Jetzt aber gab der Minister Entwarnung. Es sei gelungen, so viel Impfstoff von Moderna nachzukaufen, dass die gesamte erwachsene Bevölkerung damit geboostert werden könnte. Biontech bleibe aber tatsächlich knapp; es seien keine Nachbestellungen mehr möglich gewesen.

Thorsten Frei, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, forderte die neue Regierung auf, weitere Maßnahmen zu beschließen, um die angelaufene Omikron-Welle zu dämpfen. Es sei ein großes Risiko, wenn Deutschland zu stark auf mildere Verläufe setze und die Pandemie ohne große Kontaktbeschränkungen quasi „durchlaufen lasse“, wie es derzeit in Großbritannien zu beobachten sei.

Öffnungsschritte wie in Großbritannien sollen nicht kommen

Dem widersprach Karl Lauterbach vehement. Was gerade in Großbritannien geschehe, sei eine „unethische Wette“. Dabei seien auf der Insel sehr viel mehr ältere Menschen als in Deutschland geimpft und geboostert – trotzdem sei das Gesundheitssystem schon überlastet. In Deutschland hätte eine solche Politik verheerende Folgen: „Das ist bei uns nicht tragbar“, betonte Lauterbach. Seine Strategie sei es, mit den Maßnahmen Zeit zu gewinnen, damit die Menschen sich noch boostern lassen könnten. Die nächste Welle sei aber nicht mehr zu verhindern: „Ein Komplettschutz geht nicht, aber wir lassen es nicht laufen“, so der Gesundheitsminister.

Claudia Kade, die Politikchefin der „Welt“, mahnte die Bundesregierung, über die geplante Impfpflicht länger nachzudenken als derzeit geplant. So vieles sei derzeit unklar. So wirkten die Impfungen nicht so gut wie erhofft gegen Omikron. Und niemand wisse, ob neue Varianten aufträten oder ob Omikron bald zu einer endemischen Lage führe, mit der man leben könne. Lauterbach versprach, dass es erst eine Impfpflicht geben werde, wenn alle diese Fragen beantwortet werden könnten.

Journalistin: Der Staat duckt sich zu oft weg

Als weiterer Gast berichtete die Leipziger Politikwissenschaftlerin und freie Journalistin Antonie Rietzschel von den Corona-Gegendemonstrationen im Osten Deutschlands. Viele Menschen hätten noch selbst die Erfahrung der DDR-Diktatur gemacht und wollten sich jetzt vom Staat nichts mehr bieten lassen; dies sei einer der Gründe für die starke Bewegung im Osten. Sie mache sich aber nichts vor, viele Argumentationen dieser Menschen seien irrational und von einer starken Emotionalisierung geprägt. Eine Minderheit habe auch kein Problem damit, rechte Parolen nachzuplappern oder Gewalt zu legitimieren.

Rietzschel kritisierte scharf, dass sich der Staat, gerade in Sachsen, oft wegducke anstatt klare Kante zu zeigen. Deutschland befinde sich nicht nur in einer Pandemie, sondern auch in einer Demokratiekrise, da bedürfe es klarer Regeln und einer klaren Kommunikation: „Sonst droht man nämlich auch die Mehrheit zu verlieren.“

Karl Lauterbach sorgt sich um Kommunalpolitiker

Karl Lauterbach, der selbst schon Todesdrohungen erhalten hat, betonte, dass er sich von einer kleinen Gruppe nicht unter Druck setzen lasse. Der Staat müsse die Mehrheitsmeinung, die im Übrigen demokratisch legitimiert und wissenschaftlich fundiert sei, verfolgen.

Bezüglich der zunehmend aggressiven Stimmung sagte Lauterbach, dass er persönlich gut geschützt werde und sich um sich keine Sorgen mache: „Ich kann halt nichts mehr spontan machen, alles muss geplant werden, aber damit kann ich leben.“ Viele Kommunalpolitiker würden aber in gleichem Maße bedroht und hätten viel weniger Schutz – er befürchte deshalb, dass dieser Beruf immer noch unattraktiver werde.