Das AKW Neckarwestheim 2 im Landkreis Heilbronn könnte nun doch etwas länger im Betrieb bleiben (Archivbild). Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich/IMAGO/Arnulf Hettrich

Wegen der Lage in Frankreich sei es notwendig, die beiden AKWs Neckarwestheim 2 und Isar 2 über den Winter weiter zu betreiben, erklärt nun Wirtschaftsminister Robert Habeck. Wann kommt eine endgültige Entscheidung?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält einen Betrieb der zwei süddeutschen Atomreaktoren über den Winter nach derzeitiger Lage für nötig. „Stand heute halte ich das für notwendig“, sagte der Grünen-Politiker am Dienstagabend in Berlin.

Er verwies auf die Lage in Frankreich, wo viele AKW wegen Wartungsarbeiten nicht laufen können. Dort habe sich die Situation mit Blick auf den Winter weiter verschlechtert. „Heute muss ich sagen, dass die Daten aus Frankreich dafür sprechen, dass wir die Reserve dann auch abrufen.“ Dann müssten die AKW Neckarwestheim 2 und Isar 2 über das geplante Aus zum Jahresende hinaus laufen. Die endgültige Entscheidung müsse spätestens im Dezember für Isar 2 aus technischen Gründen fallen, für Neckarwestheim sei dies auch Anfang des Jahres möglich. Längstens sollen die AKW bis Mitte April 2023 laufen.

Habeck machte deutlich, dass die Entwicklung in dem Nachbarland erheblich schlechter sei als prognostiziert. Mehr als die Hälfte der dortigen Atomkraftwerke sei nicht am Netz, es fehlten daher Strommengen, die Deutschland zum Teil mit Strom aus Gaskraftwerken ausgleiche. Entwickle sich die Lage in Frankreich schlecht, verschärften sich die Stressfaktoren für das deutsche Stromsystem.

„Als für die Energiesicherheit verantwortlicher Minister muss ich daher sagen: Wenn diese Entwicklung nicht noch in ihr Gegenteil verkehrt wird, werden wir Isar 2 und Neckarwestheim im ersten Quartal 2023 am Netz lassen“, betonte Habeck. Für die Grünen gilt eine solche Entscheidung wegen des jahrzehntelangen Widerstands der Partei gegen die Kernenergie gerade auch mit Blick auf die kommenden Landtagswahl in Niedersachsen als schmerzhaft.

AKWs sollen in Ersatzreserve kommen

Den mit den Betreibern vereinbarten Eckpunkten zufolge sollen die beiden Atomkraftwerke nach dem Ende ihrer regulären Laufzeit am 31. Dezember 2022 in eine Einsatzreserve überführt werden. Sie stünden damit bereit, um einen drohenden Stromnetzengpass in Süddeutschland zu verhindern.

Dem Ampel-Partner FDP gehen Habecks Ankündigungen nicht weit genug. „Die innerhalb der Ampelkoalition nicht abgestimmten Vorstellungen des Wirtschaftsministers bleiben hinter dem zurück, was in der angespannten Lage auf dem Strommarkt notwendig ist“, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler der Deutschen Presse-Agentur

Habeck hatte Anfang September den Plan für einen möglichen Weiterbetrieb (Reservebetrieb) von zwei der drei noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland angekündigt. Der dritte noch aktive Meiler in Niedersachsen (Emsland) soll nicht Teil dieser Notfallreserve sein und fristgerecht zum 31. Dezember abgeschaltet werden.

Endgültige Entscheidung noch nicht getroffen

Eine endgültige Entscheidung zum AKW-Weiterbetrieb sei aber noch nicht getroffen. Sie müsse „spätestens im Dezember“ fallen, erklärte Habeck. Die zwischen Habeck und den Betreibern vereinbarten Eckpunkte seien die Grundlage für die nächsten Schritte zur Umsetzung der Einsatzreserve. Bis Ende Oktober solle das Gesetzgebungsverfahren dazu abgeschlossen sein.

Parallel hatte in den vergangenen Wochen nicht nur die Opposition aus Union und AfD weiter Druck auf den Minister ausgeübt, die Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus weiterlaufen zu lassen. Auch in den eigenen Regierungsreihen gibt es Dissens in dieser Frage: Der Ampel-Koalitionspartner FDP pocht sogar auf einen AKW-Weiterbetrieb bis 2024. FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der „Rheinischen Post“, dass in Kombination mit einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke auch eine Gaspreisbremse kommen müsse. Habeck erteilte „politischen Koppellösungen“ dieser Art am Dienstagabend eine Absage. „Das ist nicht mein Vorgehen“, sagte er.

Scharfe Kritik von Atomkraftgegnern

Umweltorganisationen und Atomkraftgegner kritisierten den nun sehr wahrscheinlichen AKW-Weiterbetrieb scharf. Man warne vor einer Vorentscheidung, erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kränner.

Doch wie verhalten sich die Energieversorger nun? Die EnBW bereitet ihr Atomkraftwerk Neckarwestheim II im Landkreis Heilbronn für einen möglichen Betrieb bis zum 15. April nächsten Jahres vor. Der Meiler solle aber auf jeden Fall am 31. Dezember heruntergefahren werden, teilte das Unternehmen am Dienstag in Karlsruhe mit. Sollte die Bundesregierung entscheiden, dass eine weitere Stromproduktion erforderlich ist, werde der Reaktorkern der Anlage mit vorhandenen teilverbrauchten Brennelementen neu zusammengesetzt und wieder hochgefahren. Das solle eine Produktion von bis zu 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom gewährleisten, hieß es. Die Entscheidung darüber solle spätestens Anfang Dezember dieses Jahres fallen.

Was sagt Preussen Elektra?

Isar-2-Betreiber Preussen Elektra teilte mit, dass das Kernkraftwerk „zeitnah“ in einen Kurzstillstand gehen werde, um eine Revision seiner internen Ventile zu ermöglichen. Nach dem Wiederanfahren könne die Anlage mit dem bestehenden Reaktorkern bis voraussichtlich März 2023 weiterlaufen, hieß es.

„Auch wenn es leider noch keine endgültige Klarheit über den Weiterbetrieb von Isar 2 gibt, begrüßen wir die erzielte Einigung. Damit lässt sich arbeiten, und mit den notwendigen Vorarbeiten können wir jetzt beginnen“, sagte Guido Knott, Vorsitzender der Geschäftsführung.

Erst Anfang vergangener Woche war bekannt geworden, dass das bayerische AKW Isar 2 wegen eines verschlissenen Ventils noch im Oktober repariert werden müsste, um nach dem 31. Dezember überhaupt als Notreserve in Frage zu kommen. Habeck und die AKW-Betreiber hatten daraufhin noch einmal unter neuen Vorzeichen über die genaue Ausgestaltung eines Weiterbetriebs bis Mitte 2023 beraten.