Pralles Leben dank Autofreiheit oder ideologische Ökodoktrin? Was ist der wahre Nutzen des privaten Pkw? Foto: imago images/Arnulf Hettrich

Was dem Schwaben die Maultasche, ist dem Stuttgarter das Auto: Ein Stück Identität. Aber in der zugeparkten Stadt dämmert langsam die Erkenntnis, dass es zu viel des Guten ist. Das Auto steht auf dem Prüfstand.

Stuttgart - Das Auto ist in Deutschland das Verkehrsmittel der Wahl, die Nutzungszahlen sind deutlich über denen anderer Mobilitätsarten. Werden Autofahrer gefragt, was für Sie denkbare Alternativen wären, stehen an den ersten Stellen zu Fuß gehen und Fahrradfahren. Erst danach kommen ÖPNV und Fahrgemeinschaften. Das ergibt sich aus einer Umfrage des BMVI.

In der empirischen Sozialforschung ist bekannt, dass die direkte Frage selten zu Wahrheit führt. Werden Autofahrende gefragt, was die beste Weise ist von A nach B zu kommen, werden sie wahrscheinlich das Auto vorschlagen. Uns allen sitzen viele fixe Vorstellungen über unsere Lebensgewohnheiten im Kopf. Das können Phrasen sein wie „Autofahren ist Freiheit“ oder Werbebotschaften, die eine Automarke mit der eigenen Identität verknüpfen oder lebenslange Gewohnheiten, die den Blick auf Alternativen einschränken.

Die Sinnfrage

Weiten die Forschenden den Blick und schauen sich die Situation insgesamt an, ergibt sich nicht selten ein anderes Bild. Macht Ihnen das Autofahren in der Stadt Spaß, ist das eigene Auto die wirtschaftlich beste Lösung, was für eine Straße wünschen Sie sich vor dem eigenen Haus, wie wichtig ist Ihnen Luftqualität? Da kommen dann ganz andere Antworten zustande.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Stuttgart-Album zur Ölkrise 1973

Einer möglichst vollständigen Betrachtung der Nutzung von Autos hat sich Professor Stefan Gössling von der Universität Lund gewidmet. Gleich vorweg: Sein Schluss ist nicht, das Auto aus der Innenstadt zu verbannen. Aber er mahnt, dass die Einordnung des Wertes des Autos in Deutschland grundlegend falsch ist. Und empfiehlt ein Umdenken.

Der Blick auf das Auto ist in Baden-Württemberg geprägt von dem wirtschaftlichen Gewicht der hier angesiedelten Automobilbranche. Im Ländle setzen Automobilhersteller und -zulieferer mehr als 90 Milliarden Euro im Jahr um, bis zu 235.000 Jobs hängen an der Branche, das besagen die Statistiken des Wirtschaftsministeriums des Landes. Und so neigen Baden-Württemberger dazu, das Auto auch in ihrem privaten Umfeld hoch zu gewichten. Mit großem Aufwand wird das Auto in den Alltag integriert, dem Ausmaß des Aufwands gleichgestellt ist ein Konsens über die Selbstverständlichkeit.

Weil Selbstverständlichkeit in der Wissenschaft ein Fremdwort ist, hat Professor Gössling angefangen zu rechnen. Was sind die Kosten der Automobilnutzung, was ist der Nutzen, wie sieht die Bilanz des Autos aus? Denn das Auto ist keine Skulptur, die bloß Produktionskosten hat und danach im Wohnzimmer steht. Das Auto bewegt sich im öffentlichen Raum und produziert dort zusätzliche Kosten. Es verbraucht Platz in der Stadt, sowohl parkend als auch fahrend. Es benötigt Straßen, die gebaut und unterhalten werden muss. Es braucht Kraftstoff, der produziert und transportiert werden muss. Es verursacht Lärm, Luftschadstoffe und Unfallgefahren, die die Aufenthaltsqualität von Orten mindert. Viele dieser Kosten werden nicht vom Halter getragen, Gössling nennt sie daher „Externe Kosten“.

Die Platzfrage

Einfach und anschaulich ist die Platzfrage. Das Auto braucht Parkplätze, und davon wenigstens drei. Einen am Wohnort, einen am Arbeitsort und einen wechselnden zum Beispiel am Einkaufsort. Diese Plätze müssen für jedes Auto vorgehalten werden, damit es überhaupt nutzbar ist. Ein Bewohnerparkausweis für bis zu drei Autos kostet in Stuttgart 30,70 Euro pro Jahr. Bei den gängigen Quadratmeterpreisen ist klar, hier trägt nicht der Nutznießer die wahren Kosten. In Amsterdam kostet der Parkausweis 535 Euro, in Stockholm 827 Euro. Parken an Supermärkten und am Arbeitsplatz wird nicht gesondert gezahlt, hier tragen die Kosten vollständig andere.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Anwohnerparken soll zum Teil zehn Mal teurer werden

Parkplätze entlang von Straßen verhindern andere Nutzungen, zum Beispiel Erweiterungen von Ladengeschäften, Restaurant- und Caféflächen und nicht kommerzielle Aufenthaltsflächen. Das senkt die Lebensqualität in Stadtvierteln und schränkt lokale wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten ein. Größter Faktor dafür sind die extremen Standzeiten: Privatfahrzeuge parken zu 95 Prozent der Zeit. In Stuttgart sind mehr als 300.000 Autos gemeldet. Ein Parkplatz für alle diese Fahrzeuge müsste mindestens 300 Hektar groß sein. Im Vergleich: Stuttgart-Mitte ist 380 Hektar groß.

Lesen Sie aus unserem Angebot: So schneidet Stuttgart im Stau-Index ab

Auch in Bewegung braucht das Auto viel Platz, unter allen Verkehrsmitteln den meisten. So sind in Form von Asphaltstraßen große Flächen reserviert für Autos, die im Schnitt nur 1,46 Personen befördern. Diese Ineffizienz geht zu Lasten anderer Verkehrsmittel, für die weniger Platz bleibt. Der hohe Platzbedarf führt zu Staus, das ist jedem Stuttgarter wohl bekannt. Mehrere Jahre in Folge galt Stuttgart als die Stau-Hauptstadt der Republik. Das beeinträchtigt die Lebensqualität von Verkehrsteilnehmern und Anwohnern und kostet eine Menge Geld. Die Verkehrsexperten von Inrix rechnen zusammen, dass bundesweit Staukosten von 80 Milliarden Euro pro Jahr entstehen.

Die Sicherheitsfrage

Das Auto ist für die Insassen ein sicheres Verkehrsmittel, auch wenn es statistisch deutlich hinter den Sicherheitswerten von Bus und Bahn zurücksteht. Dennoch ist es deutlich sicherer sich im Auto durch die Stadt zu bewegen, als mit dem Fahrrad oder zu Fuß.

Gesamt betrachtet gehen die schlechteren Werte für Fahrrad und Gehen aber auf den dichten Autoverkehr zurück. Über 70 Prozent der Fahrradunfälle geschehen unter Beteiligung von Autos. Von diesen Unfällen werden 75 Prozent von den Autofahrern verschuldet. Diese Zahlen hat das Statistische Bundesamt erhoben. Vom Auto geht sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen die größte Bedrohung für andere Verkehrsteilnehmern aus. Sach- und Personenschäden sind nach Gössling ein großer Kostenfaktor, aber auch die Aufwände um Schäden zu vermeiden, wie Verkehrspolizei und Rettungsdienste.

Die Gesundheitsfrage

Der Autoverkehr produziert nur einen kleinen Teil der Schadstoffe, die für den Klimawandel verantwortlich sind. Jedoch produzieren Autos sie dort, wo Menschen leben – in Städten und Siedlungen. Laut Studien der European Enviroment Angency ist Luftverschmutzung die mit Abstand größte umweltbedingte Gesundheitsbelastung in Europa. Etwa sechs Prozent der vorzeitigen Todesfälle gehen auf Krankheiten zurück, die durch bestimmte Staubpartikel, Stickstoffdioxid oder anderen Schadstoffen in der Atemluft verursacht oder begünstigt werden.

Und 40 Prozent der Luftverschmutzung wird im Verkehr verursacht. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie rechnet vor, dass 47 Millionen Tonnen aus Mineralöl raffinierte Treibstoffe jedes Jahr auf den Straßen der Republik verbrannt werden. Die freigesetzten Schadstoffe verursachen erhebliche Kosten für die Allgemeinheit.

Ist das Auto volkswirtschaftlich zu rechtfertigen?

Unterm Strich sieht Professor Gössling in seiner Studie einen negativen volkswirtschaftlichen Wert für das Auto. Dass private Pkw gesellschaftlich hohe Mehrkosten verursacht ist lange bekannt, daher wird versucht ein Ausgleich für die Gemeinschaft zu schaffen, in Form von Kfz-Steuer, Haftpflichtversicherung, Mineralölsteuer, Parkgebühren und weiteren Abgaben. Trotzdem zahlt die Allgemeinheit noch etwa 4.000 Euro pro Auto und Jahr drauf. Für Baden-Württemberg ist es ein gutes Geschäft, Autos zu verkaufen – jedoch ein Verlustgeschäft, sie so zu nutzen, wie wir es aktuell tun.

Professor Gössling steht mit dieser Annahme nicht alleine da, Professor Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin bestätigt in seiner explorativen Studie zu den Kosten verschiedener Verkehrsträger: „Die vorgenommene Abschätzung legt nahe, dass sowohl der Straßen- als auch der Luftverkehr hohe Subventionen erhalten, die verkehrs- und umweltpolitisch nicht zu rechtfertigen sind.“

Im Kontrast zum Auto gibt es aus sich selbst heraus volkswirtschaftlich positive Verkehrsmittel. Werden die Faktoren zum Beispiel beim Fahrrad analysiert und private gegen externe Kosten abgeglichen, steht unterm Strich ein positiver Wert. Aus volkswirtschaftlicher Sicht empfiehlt Professor Gössling daher eine verstärkte Investition in Verkehrsinfrastruktur für das Fahrrad.

Wie sieht die Zukunft des Autos aus?

Professor Gössling sieht im Auto ein großes Minus, einige Geschäftsleute jedoch ungenutztes Kapital. Ein so inkonsistentes Konzept wie der private Pkw ist eine Einladung zur Disruption. Einige Städte sind den offensichtlichen Weg gegangen und haben Autos aus einzelnen Vierteln oder gleich der ganzen Innenstadt verbannt. Die Effekte sind erwartungsgemäß ausgefallen – eine starke Erhöhung der Lebensqualität und eine Aufwertung der autofreien Bezirke als Orte für Gastronomie und Gewerbe.

Aber ein Leben mit Auto ist möglich und kann auch wirtschaftlich sinnvoll sein. Eine Möglichkeit zur Reduktion der gesellschaftlichen Kosten des Autos ist zum Greifen nahe: Elektroautos. Sie produzieren weniger Lärm, keine Abgase und können ihre Energie noch dezentraler beziehen als Verbrenner. Aktuell besteht in Deutschland ein System aus 14.000 Tankstellen, 14 Mineralölraffinerien und entsprechenden Zulieferinfrastrukturen aus Pipelines und Ölhäfen, über die Millionen Liter Öl ins Land befördert werden. Elektroautos hingegen könnten quasi überall an ein entsprechend ausgebautes Stromnetz angeschlossen werden.

Falls diese Elektroautos mit Batterien als Energieträger ausgestattet sind, zieht das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eine weitere Wertsteigerungsmöglichkeit in Betracht: die „Vehicle to Grid“ Technologie. Bezogen auf die hohe Zahl von Fahrzeugen stellen Elektroautos eine erhebliche Speicherkapazität für elektrische Energie da. Potenziell können Sie nicht nur Strom aus dem Netz entnehmen, um ihre Batterien zu laden, sondern auch Strom in das Netz zurückspeisen. Bei der hohen Standzeit der Fahrzeuge könnten mit dem Netz verbundene Elektroautos intelligent geladen werden, wenn das Netz Überschuss produziert oder in Zeiten von Spitzenlast zu einem virtuellen Kraftwerk im Gigawattbereich zusammengeschlossen werden und Strom in das Netz zurückspeisen.

Die Mobilitätswende wird zur Energiewende

Wer bereits an der Umsetzung dieser Technologie arbeitet ist, wenig überraschend, Elon Musk. Neben der nötigen Hardware in seinen Teslas hat er die Handelsplattform „Autobidder“ entwickelt. Sein Plan: Auf Wunsch können Autobesitzer die Handelsoption aktivieren, sodass das Elektrofahrzeug beispielsweise ab 60 Prozent Ladestand des Akkus alle weiteren Wattstunden an der Strombörse zum Verkauf anbietet, so lange der Preis über dem Einkaufspreis liegt. Daraus ergibt sich nicht nur ein volkswirtschaftlicher Nutzen, sondern sogar ein privater Gewinn für den Fahrzeughalter.

Ein etwas utopischer Vorschlag von Musk ist das private autonome Taxi. Sein Versprechen: Sobald Tesla seinen Autopiloten auf das sogenannte „Level 5“ gebracht hat, also vollautonomes Fahren in jeder Umgebung, kann der Fahrzeughalter sein Auto per App zum Taxi erklären. Menschen in der Nähe können ebenfalls per App eine Fahrt von A nach B bestellen, das zum Taxi erklärte Privatauto holt sie selbstständig ab, bringt sie zum bestellten Ort und kehrt danach zum Besitzer zurück. Musk rechnet vor, dass sich ein Fahrzeugbesitzer so bis zu 30.000 Dollar im Jahr erwirtschaften könnte. Durch die Brille von Professor Gössling betrachtet, würde das die Nettostandzeit und die Fahrzeugdichte erheblich verringern und wäre damit für die Allgemeinheit ein Gewinn.

Heute schon Realität ist Carsharing für Selbstfahrer. Das reduziert die Standzeit von Autos und die Anzahl privater Fahrzeuge.

In allen Betrachtungen wird deutlich: Unser Umgang mit dem Auto heute ist nicht optimal. Was aber ebenfalls deutlich wird: Eine Veränderung wird sich lohnen, ein Umdenken verspricht gewinnbringend zu sein.