Start einer ballistischen Interkontinentalrakete vom Typ RS-24 „Jars“ bei einer russischen Militärübung (Archivbild des Russian Defense Ministry Press Service). Foto:  

Die Angst vor einem Atomkrieg ist zurück. Studien belegen: Schon ein regionaler Konflikt mit nuklearen Waffen könnte die Welt in eine Katastrophe stürzen – mit verheerenden Folgen für die gesamte Menschheit.

Bei einem Atomkrieg gibt es keine Gewinner. Dieses Credo aus dem Kalten Krieg hat bisher nukleare Waffengänge verhindert. Bereits in 1950er Jahren prophezeiten Wissenschaftler, dass ein atomarer Konflikt zwischen den Supermächten verheerende Folgen für die gesamte Menschheit hätte. Rauch und Aerosole der thermonuklearen Explosionen würden die Sonne verdunkeln und das Weltklima über viele Jahre abkühlen. Die Folge: ein nuklearer Winter.

Wie realistisch ist das Risiko eines nuklearen Schlagabtauschs – und sei er nur regional begrenzt?

Angst vor einem Nuklearkrieg

Psychologisch ist die Angst vor einem Nuklearkrieg, welche die Menschen im Kalten Krieg beherrschte, wieder da. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine macht vielen Menschen in Deutschland Angst vor einem Dritten Weltkrieg.

Wie eine Forsa-Umfrage vom Montag im Auftrag von RTL und ntv ergab, befürchten 69 Prozent der Befragten, dass die Nato in den Konflikt hineingezogen wird, weil der russische Präsident Wladimir Putin ein Mitglied des westlichen Verteidigungsbündnisses angreifen könnte – zum Beispiel einen der baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen. Und dass dies auch Deutschland direkt betreffen könnte.

Regionaler Konflikt – globale Folgen

Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, des Nasa Goddard Institute for Space Studies und der Universität Chicago haben die Auswirkungen eines nuklearen Konflikts auf die weltweite Ernährungssicherheit in einer auf Computersimulationen basierenden Studie untersucht.

Demnach könnte selbst ein begrenzter Atomkrieg gefährliche Auswirkungen weit über die tödlich getroffene Region hinaus haben.

Weltweite Eiszeit und Ernährungsschock

Ein solcher Krieg würde zu einer globalen Abkühlung führen, welche die landwirtschaftliche Produktion in den wichtigsten Kornkammern der Welt – von den USA bis nach Europa, Russland und China – erheblich reduzieren würde.

„Wir wissen jetzt, dass ein Atomkonflikt nicht nur eine schreckliche Tragödie in der Region wäre, in der er passiert. Er ist auch ein unterschätztes Risiko für die globale Ernährungssicherheit“, sagt der Klimawissenschaftler Jonas Jägermeyr vom Potsdam Institute for Climate Impact Reserach.

Laut den Wissenschaftlern würde der plötzliche Temperaturrückgang zu einem in der Menschheitsgeschichte noch nie dagewesenen Schock im Ernährungssystem führen. Dies würde den gegenwärtigen, von fossilen Brennstoffen verursachten Klimawandel jedoch nicht aufheben – nach etwa einem Jahrzehnt der Abkühlung würde die globale Erwärmung wieder zunehmen.

Klimatische Auswirkungen

„So schrecklich die direkten Auswirkungen von Atomwaffen auch wären, es könnten mehr Menschen außerhalb der Zielgebiete sterben – durch Unterernährung, einfach wegen der indirekten klimatischen Auswirkungen“, erklärt der Klimatologe Alan Robock von der Rutgers University (US-Bundesstaat New Jersey). Er hat in mehreren Studien die Folgen eines atomaren Konflikts untersucht.

Beispielloser Krieg

Auch der US-Klimawissenschaftler Owen Toon von der University of Colorado in Boulder ist in einer Studie der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen ein regionaler nuklearer Krieg für die gesamte Welt haben könnte.

„Unser Szenario beginnt mit einem Terrorangriff auf die indische Regierung“, erläutert Toon. Daraufhin startet Indien zunächst einen konventionellen Vergeltungsangriff auf die pakistanische Grenzregion Kaschmir. Pakistan beschießt indische Städte mit Atomwaffen, Indien reagiert mit Gegenangriffen. „Dies wäre ein in der Geschichte der Menschheit beispielloser Krieg“, erklärt Owen Toon.

Durch Explosionen und Brände würden gewaltige Mengen an Rauch freigesetzt. Eine radioaktive Wolke aus 16 bis 36 Milliarden Kilogramm Ruß würde sich innerhalb weniger Wochen über den gesamten Globus verteilen. Toon: „Dadurch wird die Sonneneinstrahlung um 20 bis 35 Prozent verringert und die Erdoberfläche kühlt sich ab.“

Missernten, Hungersnöte, Temperaturabfall

Die globalen Temperaturen würden um zwei bis fünf Grad und die Niederschläge um 15 bis 30 Prozent sinken. Die Folgen wären Missernten und weltweite Hungersnöte.

Klimaforscher Toon geht davon aus, dass die Nahrungsmittelproduktion über mehrere Jahre um 15 bis 30 Prozent sinken könnte.„Zum ersten Mal in der Geschichte könnte dadurch ein regionaler Krieg mehr Menschenopfer fordern als weltweit in einem Jahr aus natürlichen Gründen sterben.“

Nuklearkonflikt führt zu Klimakollaps

Eine Studie der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) zeigt: Rauch und Staub eines regional begrenzten Atomkriegs hätten einen plötzlichen Abfall der globalen Temperaturen und der Niederschlagsmenge zufolge, da bis zu zehn Prozent weniger Sonnenlicht zur Erdoberfläche durchdringen würden.

Die plötzliche Abkühlung würde die Wachstumsperioden verkürzen und die Landwirtschaft auf der ganzen Welt bedrohen. Ansteigende Lebensmittelpreise würden Lebensmittel für Hunderte Millionen der ärmsten Menschen unerschwinglich machen.

Für diejenigen, die bereits chronisch unterernährt sind, würde eine Verminderung der Nahrungsaufnahme um nur zehn Prozent zum Hungertod führen. Infektionskrankheiten würden sich epidemisch ausbreiten und Konflikte über knappe Ressourcen würden überhand nehmen.

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