In Buenos Aires protestieren Anhänger der Vizepräsidentin Fernandez de Kirchner vor deren Haus. Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa/Natacha Pisarenko

Vizepräsidentin Cristina Kirchner soll für zwölf Jahre ins Gefängnis. Ihre Anhänger rufen zum Widerstand auf, die Opposition feiert das harte Durchgreifen der Justiz.

Noch in der Nacht versammeln sich Gegner und Anhänger von Cristina Kirchner in den Straßen von Buenos Aires. Die einen sind entsetzt über die Forderung der Staatsanwaltschaft, die anderen feiern, dass die Gerechtigkeit ihren Lauf nimmt. Auf jeden Fall wird in diesen Stunden deutlich, was dem südamerikanischen Land neben dramatischer Inflation, Massenarmut und sozialer Spaltung jetzt auch noch droht: eine gesellschaftliche Zerreißprobe mit unbekanntem Ausgang. Im Ortsteil Recoleta musste die Polizei die beiden Lager mit Tränengas trennen.

Sie gilt immer noch als eine der einflussreichsten Politikerinnen

Kurz zuvor hatte der Staatsanwalt Diego Luciani seine Forderung verkündet: zwölf Jahre Haft und lebenslange Ämtersperre für Kirchner, die aktuell Vizepräsidentin der linken Regierung von Präsident Alberto Fernandez ist. Doch Kirchner ist viel mehr als nur die aktuelle Nummer zwei: Sie regierte nach ihrem inzwischen verstorbenen Mann Nestor insgesamt acht Jahre als Präsidentin Argentinien, von 2007 bis 2015, und gilt immer noch als die einflussreichste Persönlichkeit des südamerikanischen Landes mit einer treuen Stammwählerschaft. Luciani hat sich also mit der mächtigsten Frau des Landes angelegt.

Die Vorwürfe: Kirchner soll einem kriminellen Korruptionsnetzwerk vorstehen, dass den argentinischen Staat um insgesamt eine Milliarde US-Dollar betrogen haben soll. Die Rede ist von Geldwäsche und Unterschlagung von öffentlichen Geldern. „Es geht um das größte Korruptionsnetzwerk, das das Land je gesehen hat“, sagte Luciani bei seinem Schlussplädoyer. Nun hat das Gericht das letzte Wort. Anhänger und Gegner haben dagegen ihr Urteil längst gefällt: schuldig oder unschuldig, je nach politischer Positionierung. Präsident Fernandez, der auf die Unterstützung des immer noch mächtigen Kirchner-Lagers angewiesen ist, stellt sich hinter seine Vizepräsidentin. Kein einziger Vorwurf sei bewiesen, kritisierte er die Justiz. Fernandez und Kirchner planen ohnehin eine Justizreform. Kirchner selbst sieht sich als Opfer einer politisch-medialen Kampagne, die das Ziel habe, sie aus der Politik zu drängen. Ihre Anhänger teilen diese Sicht der Dinge.

Wie sind sie an Geld gekommen? Darum ranken sich viele Spekulationen

Tatsächlich stieg die Familie Kirchner während ihrer Zeit als Berufspolitiker zu Multimillionären auf. Es gibt Hotels und Ländereien, die zu ihrem Besitz zählen. Die letzten Jahre sind voll von bizarren Kuriositäten bis hin zu einem kirchnernahen Funktionär, der dabei gefilmt wurde, wie er Geldsäcke über die Mauern eines Klosters warf. Das Gericht muss nun entscheiden, wie es die Beweislage und die Ermittlungen des Staatsanwaltes bewertet.

Die schlüsselte auf, dass eine Firma eines Kirchner-Vertrauten rund 80 Prozent aller öffentlichen Straßenbauaufträge in Kirchners Heimatregion Santa Cruz zugeschanzt bekommen haben soll. Das lukrative Geschäftsmodell: Aus den überhöhten Baukosten kassierte das Ehepaar Kirchner eine Art Provision. Kirchner bestreitet das vehement. Den eigenen Reichtum erklärt die Familie mit „erfolgreichen Investitionen“ sowie mit den Einkünften aus der Beratungstätigkeit als Juristen.

Das Verfahren droht das Land zu spalten

Das alles trifft Argentinien inmitten einer schweren Wirtschaftskrise und vor den Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Ein politisches Alphatier wie Cristina Kirchner im Gefängnis würde ihre Anhängerschaft mobilisieren und das ohnehin vergiftete Klima im Land noch weiter anheizen. Es ist denkbar, dass Kirchner dann eine erneute Kandidatur ankündigt und die Wahlen so zu einer Abstimmung über ihre Schuld oder Unschuld werden. Kirchner gilt als eine der wichtigsten und prominentesten Politikerinnen der lateinamerikanischen Linken und ist bestens vernetzt mit anderen Linkspolitikern der Region. Die meisten ihrer internationalen Kontakte stellten sich hinter Kirchner. Umgekehrt würden ihre Gegner einen Freispruch wohl ebenso wenig akzeptieren und ihrerseits die Menschen mobilisieren, um auf die Straße zu gehen. Ein freiwilliger Rückzug Kirchners gilt als ausgeschlossen.

Doch erst einmal geht das lange Tauziehen weiter. Das Urteil gegen Kirchner wird für Ende des Jahres erwartet. Anschließend kann beim Obersten Gerichtshof noch Einspruch eingelegt werden. Ein rechtskräftiges Urteil könnte dann erst in ein paar Jahren erwartet werden.