Acro-Yoga hat zuweilen etwas von akrobatischer Pyramiden-Kletterei. Foto: Simon Granville

Auf der Ludwigsburger Bärenwiese treffen sich immer dienstags die Fans einer akrobatischen Yoga-Variante. Zum Trainieren, zum Ausprobieren oder zum Genießen der Schwerelosigkeit.

Vertrau mir“, sagt René Rexer. Und zack! geht es ausgestreckt auf seinen Füßen liegend in die Luft. Dort ist es weniger wackelig als erwartet. Kein Wunder, Rexer ist früher als Akrobat aufgetreten.

Die Endorphine schießen los

„Jetzt noch die Hände loslassen und zur Seite ausstrecken“, sagt er. Die greifen bisher noch etwas verkrampft in seine. Nach etwas Überwindung schießen die Endorphine durch den Körper. Ein Gefühl, als flöge man über die Ludwigsburger Bärenwiese, schwerelos. Die zwei Helfer, die an den Seiten aufpassen, sind schnell vergessen.

„Die Figur heißt Bird Flyer“, erklärt der 45-Jährige – also Vogelflieger. Das ist eine der Einsteigerfiguren – mit hohem Suchtpotenzial. „Jeder kann das machen“, sagt er, und zeigt sofort, wie selbst eine zierliche Frau ihn zum Fliegen bringt. In diesem Fall ist sie die sogenannte Base (Basis) und er der Flyer (Flieger). Da beide fortgeschritten sind, brauchen sie die Spotter (Späher), die an den Seiten aufpassen, nicht mehr. „Mit der Technik lässt sich die Physik austricksen. Das kann man leicht erlernen“, sagt Rexer.

Körperspannung im Rumpf ist Trumpf

Wichtig ist die Körperspannung vor allem im Rumpf. Wer gute Anlagen mitbringt, kann schnell tolle Kunststücke machen. Zum Beispiel die Figur Bird Flyer eine Etage höher über Rexers Kopf. „Wie bei ‚Dirty Dancing’“, sagt er. Im Handumdrehen sind die Griffe erklärt. Ein Kniff in die Hüfte – das Signal zum Absprung. Schon geht es los zum Abflug. Die Angst vor dem Absturz nehmen die Spotter.

Ihr geballtes Wissen geben die rund 30 Leute aus der Acro-Yoga-Gruppe jeden Dienstag an alle weiter, die vorbeikommen. Darunter sind Akrobaten, Yoga-Lehrer und einige, die Acro-Yoga-Kurse gemacht haben. Viele kommen aber einfach so und lernen von denen, die mehr Erfahrung haben. Nach 18 Uhr kommt jeder, wann es ihm passt, wärmt sich auf und sucht sich jemand zum Trainieren. Das ist einer der Unterschiede zum herkömmlichen Yoga.

Die Variante geht nicht allein, sie erfordert Mut, sich auf einen anderen Menschen einzulassen, ihm nahe zu kommen, sich zu berühren, sich dann noch loszulassen. Miteinander an physische Grenzen zu gehen, das gibt den Trainingspartnern das Gefühl wie aus einem Guss zu sein. Da muss die Chemie stimmen. Unter den Leuten auf der Wiese jemanden zu finden, der passt, ist aber einfach.

Kein straffer Ablauf

Anders als im Yoga-Kurs gibt es bei den Treffen keinen straffen Ablauf. Hier wird die wildeste Akrobatik mit Handstand, Drehungen und Hochwerfen trainiert. Manche üben sogar zu dritt. Dort verharren andere wie ein nasser Sack in entspannten Posen in der Luft und lassen sich vom unteren Partner langziehen. „Das ist total angenehm nach langem Sitzen“, sagt Elisa Schneider, die einige Jahre dabei ist und genau weiß, was sie mit ihren Füßen tut. „Diese Variante wird therapeutisches Fliegen genannt“, sagt sie.

Sie steht im Gegensatz zu den dynamischen Übungen und ist eine Kombination aus akrobatischen Übungen und Thai-Massage. Das geht auch rücklings auf den Füßen des Partners liegend im „Hochfliegenden Wal“. Eine Massage im Schwebezustand mit Perspektivwechsel: Die Bärenwiese steht auf dem Kopf. „Das ist so wundervoll. Du hast den ganzen Tag gepowert, dann knetet dich einer im Schwebezustand durch“, sagt Klaus Teller. „Das ist ein Geschenk“, sagt der älteste Teilnehmer. Erst mit Anfang 50 hat er die Gruppe entdeckt. Heute gehört der freihändige Schulterstand zu seinen Spezialitäten.

Bereits im Jahr 2014 hat die Yoga-Lehrerin Nicole Tondera Acro-Yoga nach Ludwigsburg gebracht. Es gibt einen Austausch mit Gruppen in Stuttgart und Heilbronn. Ursprünglich kommt der Mix aus Yoga, Akrobatik und Thaimassage aus Kalifornien. Weltweit gibt es nur ein paar 100 Trainer. Nicole Tondera ist Spezialistin für das Durchkneten auf Asiatisch. Das geht zur Schlussentspannung auch auf sicherem Boden. Eine tolle Erfahrung in einer Welt, bei der auf die Gratisprobe sonst meist ein Kaufangebot folgt.

Ohne Obdach

Auf der Suche  
Bis zur Coronakrise hat die Gruppe auch in einem Raum der Film-Akademie trainiert. Diese Möglichkeit ist leider weggefallen. Weil die Acro-Yoga-Fans auch im Winter ihr Wissen gratis weitergeben möchte, suchen sie einen Raum, für den keine Miete fällig wird. Er sollte hohe Decken haben. Kontakt: Nicoletondera@gmx.de