Gebäudereiniger müssen bisweilen froh sein, wenn sie den Mindestlohn bekommen. Das soll sich nach dem Willen der EU nun ändern. Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Die Arbeitsminister der 27 Mitgliedsländer stimmten in Brüssel einem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zu, der für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen soll.

Brüssel - Bei dem Wort Mindestlohn schrillen bei Wirtschaftsverbänden die Alarmglocken. Als die neue Ampel-Koalition in Berlin jüngst ihre Pläne zur Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro auf den Tisch legte, ertönte ein großes Protestgeschrei. Vertreter des Handels oder auch das Friseur- und Gebäudereinigerhandwerk warnten vor Preiserhöhungen für die Verbraucher und sogar einem möglichen Sterben der Betriebe.

Kampf für die unteren Lohngruppen

Doch nicht nur die künftige deutsche Regierung will sich für die unteren Lohngruppen stark machen, die bisweilen nur knapp über dem Existenzminimum verdienen. Auch die Europäische Union hat das Problem erkannt und will dagegen vorgehen. Aus diesem Grund haben die 27 EU-Staaten einem Gesetzgebungsvorhaben über verbindliche Mindestlöhne zugestimmt, verkündete am Montag der Ministerrat der Europäischen Union. „Arbeit sollte sich auszahlen“, betonte der slowenische Arbeitsminister Janez Cigler Kralj, dessen Land noch bis zum Jahresende den Vorsitz der Mitgliedstaaten hat. Es sei inakzeptabel, dass „Menschen, die alle Energie in ihren Job stecken, trotzdem in Armut leben und sich keinen würdigen Lebensstandard leisten können“.

Der Vorschlag sieht eine Stärkung der Tarifbindung und einen Rahmen für die Festlegung und Anpassung von Mindestlöhnen nach klaren Kriterien vor. Ferner sollen Kontrollen in Betrieben und regelmäßige Berichte der Mitgliedstaaten an die EU-Kommission über Tarifbindung und Höhe des Mindestlohns festgeschrieben werden. Bereits am 25. November hatte das Europäische Parlament die Initiative der EU-Kommission für eine entsprechende Richtlinie gebilligt. Nach der Zustimmung des Ministerrats können im kommenden Frühjahr Verhandlungen zwischen Vertretern des EU-Parlaments, dem Ratspräsidenten und der EU-Kommission über die Ausgestaltung beginnen.

Das System wird nicht in Frage gestellt

„Wir wollen keine zentralistische Festlegung von Mindestlöhnen“, präzisiert Dennis Radtke das Gesetzgebungsvorhaben und versucht, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der CDU-Europaparlamentarier ist sozialpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion und hat maßgeblich an dem Bericht mitgearbeitet. Die EU wolle nicht die bestehenden Systeme in Frage stellen, wie das immer wieder von Arbeitgeberseite vermutet wird.

Solche Sätze können das Gemüt von Steffen Kampeter kaum besänftigen. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände geißelt in einer Stellungnahme „die europäische Mindestlohnbürokratie als eine Kompetenzanmaßung der Europäischen Kommission“. Deutschland besitze mit der Mindestlohnkommission ein etabliertes und sehr bewährtes Gremium, das über die Höhe des Mindestlohnes befinde.

Die EU-Staaten können weiter selbst entscheiden

Aber auch mit dem nun gebilligten Vorschlag der EU-Kommission bleibt den Mitgliedsländern überlassen, wie hoch sie den jeweiligen Mindestlohn ansetzen. Allerdings liegt dessen Höhe in den verschiedenen Mitgliedsländern zum Teil sehr weit auseinander. Nach EU-Angeben reicht er von 332 Euro in Bulgarien bis 2202 Euro in Luxemburg. Zudem gibt es nur in 21 der 27 Mitgliedstaaten einen gesetzlichen Mindestlohn. In den anderen Staaten wie etwa Österreich besteht aber meist eine sehr hohe Tarifbindung, die vom Staat stark unterstützt wird. Es wäre also kaum möglich, einen einheitlichen europäischen Mindestlohn festzulegen oder die nationalen Mindestlohnsysteme aneinander anzugleichen. „Die Grundidee besteht vielmehr darin, auf europäischer Ebene gemeinsame Kriterien für angemessene Mindestlöhne zu definieren“, heißt es in einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Die Tarifbindung soll ausgeweitet werden

Den Arbeitgeberverbänden sind aber nicht nur die Regelungen zum Mindestlohn ein Dorn im Auge. Wenig erfreut sind sie auch über die Vorgaben, die Tarifbindung auszuweiten. Regierungen werden von der EU in Zukunft aufgefordert, aktive Schritte in diese Richtung zu unternehmen, wenn weniger als 80 Prozent der Arbeitnehmer einen Tarifvertrag haben. Das ist in den meisten Staaten der Europäischen Union der Fall. In Deutschland ist diese Zahl rückläufig. Nach einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) arbeiteten im Jahr 2020 nur noch 43 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit einem Branchentarifvertrag. 2019 lag dieser Wert noch bei rund 46 Prozent.

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