Alfred Brandner hat seinen Sport gefunden und trainiert mehrmals die Woche. Foto: privat

Alfred Brandner ist 72 Jahre alt und trainiert zwei- bis dreimal die Woche in Plüderhausen. Durch seinen Job als Sanitäter kam er einst zum Kampfsport. Und genau das, Schutz und Selbstverteidigung von Rettungskräften im Einsatz, sind ihm ein großes Anliegen.

Die Szene klingt denkbar ernst: Rettungshelfer werden alarmiert, weil eine Person mit Schnittverletzungen an den Unterarmen gemeldet wird. Am Einsatzort angekommen, greifen sie hastig zu Notfallkoffer und EKG und eilen zum Patienten. Eine Blutspur weist ihnen den Weg. Plötzlich tritt ein Mann mit stark blutenden Wunden und zwei Fleischermessern, die er bedrohlich in den Händen hält, aus einem Zimmer. Er stellt sich vor die Eingangstüre und verstellt so den Fluchtweg. Genau dieses Szenario hat Alfred Brandner als Rettungsassistent erlebt, und er weiß, wie gefährlich Situationen wie diese sind. „Die Lage war nicht vorhersehbar und hätte böse enden können. Das Ganze ging nur durch das erfahrene Team und mein Wissen glimpflich aus.“

Und Alfred Brandner weiß so einiges über Gewalt gegenüber Einsatzkräften

Und Alfred Brandner weiß so einiges über Gewalt gegenüber Einsatzkräften und vor allem darüber, wie diese sich in so einem Fall verhalten sollten, um sich zu schützen – das Thema wurde quasi zu seinem Steckenpferd. Denn Alfred Brandner macht seit vielen Jahren Taekwondo und hat sich dabei auf den Bereich Selbstverteidigung spezialisiert. „Mein beruflicher und privater Werdegang ist durch die Bereiche Gewaltprävention, Kampfsport und Notfallmedizin geprägt. Ich bringe 40 Jahre Erfahrung in der professionellen Notfallrettung und viele Jahrzehnte Taekwondo-Praxis in Schorndorf mit.“

Der 72-Jährige hat Kampfsport und Rettungstätigkeit verbunden

Als Rettungssanitäter beim Deutschen Roten Kreuz in Schwäbisch Gmünd und Göppingen hat er viel erlebt. Was lag da also näher, als die beiden Leidenschaften Notfallmedizin und Kampfsport zu verbinden und Rettungskräfte darin zu schulen, wie sie sich beim Einsatz schützen und im Ernstfall retten können. „Schon seit 2006 habe ich den Bedarf für spezielle Selbstschutzseminare erkannt, sie entworfen und durchgeführt. Zu den Teilnehmern zählten Rettungsfachpersonal, Frauen, Kinder und Menschen mit Beeinträchtigungen. Bei meinem Arbeitgeber DRK Kreisverband Göppingen war ich für die Pflichtfortbildungen in Gewaltprävention und Notwehr verantwortlich“, erklärt Alfred Brandner und fügt hinzu, dass es nahezu täglich Gewalt gegenüber Einsatzkräften gebe – manchmal auch aus Hilflosigkeit, statt aus böser Absicht – und Ersthelfer deshalb in der Lage sein müssten, gefährliche Situationen zu erkennen und richtig zu handeln.

„Man darf dabei nicht überreagieren, und die Gegenwehr muss dem Angriff angemessen sein.“ Erlernt werden könnten Techniken, um dem Gegenüber einen überraschenden Schmerzreiz zuzufügen. Dieser müsse von der Intensität zum Geschehen passen. „Die Situation mit den Fleischermessern war lebensbedrohlich. Da darf die Selbstverteidigung stärker ausfallen, als wenn ein Betrunkener einen nur am Pullover festhält“, sagt der 72-jährige Taekwondo-Fan, der über Umwege Rettungssanitäter wurde.

Nach der Schule erlernte der Mann, der gebürtig aus Schwäbisch Gmünd kommt und dort auch lebt, erst einmal das alte Handwerk der Glasmacherkunst. „Das war nicht ganz freiwillig. Da hieß es damals halt, du wirst Glasmacher und dann wurde ich das.“ Weitaus freiwilliger waren da schon die Jahre, die er zur See fuhr und dabei auch Länder in Afrika bereiste. Doch auch danach war er noch nicht angekommen im Rettungsdienst. Stattdessen ging es für den umtriebigen Mann zurück in die Glasfabrik und anschließend noch zehn Jahre in die Industrie. Erst 1985 wurde er hauptberufliche Rettungsfachkraft. „Das Interesse an einem medizinischen Beruf war schon lange vorher da, und ich wusste auch um den großen Bedarf, aber es hat einfach gedauert, bis ich so weit war.“

Hätte er diese berufliche Entscheidung nicht getroffen, wäre er wohl nie zum Taekwondo gekommen. Erst durch die physischen und psychischen Strapazen, die die Einsätze mit sich brachten, war für Brandner klar, dass er einen Ausgleich braucht. „Als die Empfehlung kam, Taekwondo in Schorndorf zu probieren, bin ich hängengeblieben.“

Mit Erfolg. Der heute 72-Jährige ist zwar mittlerweile im Ruhestand, trainiert pro Woche aber zwei- bis dreimal Kampfsport, vermittelt sein Wissen, hat diverse Auszeichnungen und ist Dozent in der Gewaltprävention im Rettungswesen und in der Notfallmedizin. „Es wird einfach zu wenig in diesem Bereich geschult. In der Gesellschaft steht vieles Kopf. Nie war Sport so wichtig wie heute“, sagt Brandner. „Wenn ich Seminare angeboten habe, hieß es anfangs, wir sind doch die Guten. Wir kommen, um zu helfen, uns greift doch keiner an. Aber das stimmt nicht und ist mittlerweile auch bekannt.“ Die Techniken müssten schnell und effektiv sein, es gehe oft ums Überleben.

Morgens schwingt er sich aufs Motorrad und fährt ins Schwimmbad

Alfred Brandner ist Träger des dritten Meistergrades Dan im Kampfsport und überlegt auch schon, ob er sich zur nächsten Prüfung anmelden soll. „Ich brauche Bewegung und Umtrieb. Morgens fahre ich erst mal mit dem Motorrad ins Schwimmbad und entspanne im Whirlpool. Und beim SV Plüderhausen lasse ich mich im Taekwondo trainieren. Das ist ein langwieriger Prozess“, sagt der 72-Jährige, der beeindruckt davon ist, dass in Plüderhausen echter olympischer Taekwondo-Sport unter der Schirmherrschaft großer Verbände anboten wird.

„Die Ansprechpartner fürs Taekwondo beim SV Plüderhausen, Vlado Milojevic und Max Böhme, machen einen tollen Job. Ich habe mir vorgenommen, diesen Kampfsport einem breiteren Publikum zugänglich zu machen“, sagt Brandner und betont, dass es sich dabei keineswegs um sinnloses Treten und Schlagen handle, sondern um „ein Mittel für Prävention und Wohlbefinden“.

Durch Kampfsport besser mit Jobstrapazen umgehen

Brandner hat der Kampfsport geholfen, mit den Berufsstrapazen besser umzugehen. Jetzt will er künftigen Sanitätern und Ärzten Möglichkeiten aufzeigen, sich vor Übergriffen zu schützen. „Bei den Taktiken, die dafür erlernt werden können, geht es darum, sich zu befreien und zu fliehen, nicht ums Kämpfen. Das ist das Tolle am Taekwondo.“