Organisierte Kriminalität mitten in Reutlingen: Eine Bande soll Diebesgut von Deutschland nach Georgien transportiert haben. Nun ging die Polizei mit 200 Einsatzkräften gegen sie vor.
Um 8.00 Uhr schlägt die Polizei mit einem Großaufgebot zu: Mitten in Reutlingen hebt sie in einer ehemaligen Schraubenfabrik eine kriminelle Vereinigung aus, die in großem Stil Diebesgut nach Georgien geschmuggelt hat. Schwarz gekleidete Spezialpolizisten mit Sturmhauben dringen auf das Gelände vor und nehmen zwölf Verdächtige fest. Einer wehrt sich, vergebens.
Etwa 200 Ermittler unter Federführung des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) haben alle Hände voll zu tun. Reges Kommen und Gehen herrscht auf dem Gelände, es wird telefoniert, Absprachen werden getroffen. Die Ermittler des bayerischen LKA werden dabei durch Kräfte der bayerischen Bereitschaftspolizei, des Hauptzollamtes Ulm und der Verkehrspolizeiinspektion Tübingen unterstützt. Der Zoll in Ulm - selbst mit 60 Mann an der Aktion beteiligt - ermittelt einem Sprecher zufolge zudem wegen Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung.
Reutlingen Drehkreuz der organisierten Kriminalität
Die Razzien finden zeitgleich in Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin statt. Sechs Objekte werden durchsucht und zwölf Menschen festgenommen. Der Schwerpunkt der Aktion ist aber in Reutlingen, dem Drehkreuz der illegalen Machenschaften. Von dort aus, so erzählt es der Sprecher des LKA Bayern, Ludwig Waldinger, fuhren regelmäßig Lastwagen nach Georgien. Im Gepäck legale Pakete von etwa Privatpersonen. Aber eben auch Hehlerware. Diese wurde von den georgischen Verdächtigen gesammelt und illegal weitertransportiert. „Die Diebe sind vor allem georgische Asylsuchende“, sagt Waldinger. Gegen die Kriminellen läuft seit August 2022 ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Denn in Bayern begannen bereits im Jahr 2022 Ermittlungen gegen georgische und georgisch stämmige Menschen wegen Verdachts des schweren Bandendiebstahls: Ihnen wurde vorgeworfen, bayernweit Ladendiebstähle zu begehen und das Diebesgut unter anderem in ihre Asylbewerberunterkünfte oder Ankunftszentren zu bringen. Dann hätten sich Anhaltspunkte ergeben, dass dies von im Ausland ansässigen Angehörigen der russisch-eurasischen organisierten Kriminalität koordiniert worden sei, teilt Waldinger weiter mit. Und damit rückte Reutlingen in den Fokus.
Der Hauptbeschuldigte, ein 54-jähriger Georgier, sei ein offizieller Subunternehmer der georgischen Post, teilten die Ermittler mit. Damit sei er für den Paketversand von Deutschland nach Georgien und die Auslieferung von in Georgien aufgegebenen Paketen in Deutschland zuständig. Er habe Kurierfahrer beschäftigt und Kurierfahrzeuge genutzt. Seit März 2023 habe er die in Deutschland eingesammelten Sendungen mit einem eigens in Georgien angemieteten Lastwagen von Reutlingen direkt nach Georgien gebracht.
Hunderte Pakete werden gescannt
Die Ermittler haben am Tag der Razzia eine mühsame Aufgabe vor sich: Um festzustellen, in welchem der Pakete auf dem Gelände und im Lastwagen auf einem nahe gelegenen Parkplatz die heiße Ware verstaut wurde, müssen diese erst einmal gescannt werden. Jedes einzelne Paket für sich und es sind Hunderte. Ein LKA-Ermittler sitzt vor einem Laptop und schaut sich den Inhalt der Pakete an. „Ich kann anhand der Dichte erkennen, ob es ich um Werkzeuge handelt, Essen oder Kleidung“, sagt der Mann.
Dann fällt ihm ein Damenschuh mit einer metallischen Aufschrift auf, außerdem Sonnenbrillen, Parfümflaschen sowie Haushaltsgeräte. Ein Paket ist voll mit Büstenhaltern und Gürtelschnallen. Laut Waldinger stahlen die Verdächtigen alles, was man in einem Supermarkt kaufen kann. Verdächtige Pakete werden geöffnet. Laut Waldingers Beobachtung könnte jedes fünfte Paket Hehlerware enthalten.
Bei den Festgenommenen, gegen die Haftbefehle vorliegen, handelt es sich um zwei Männer aus Reutlingen und eine Frau aus Stuttgart. Sie sind im Alter zwischen 27 und 54 Jahren und georgische Staatsbürger. Alle Festgenommenen haben ihre Wohnsitze in Baden-Württemberg beziehungsweise sind ohne festen Wohnsitz in Deutschland. Die Verdächtigen sollen sich zu einer Bande zusammengeschlossen zu haben, um von Landsleuten in Deutschland gestohlene Waren entgegenzunehmen und diese nach Italien beziehungsweise Georgien zu transportieren.