Bis Ende August dürfen zahlreiche Katzen in Walldorf-Süd nicht mehr das Haus verlassen. (Symbolfoto) Foto: imago images/Westend61D. Occhiato

In einem vier Quadratkilometer großen Bereich der Stadt Walldorf dürfen Hauskatzen bis Ende August nicht mehr auf die Straße. Das örtliche Landratsamt droht mit drakonischen Strafen.

Katzen, die aus Lagerkoller Vorhänge zerfleddern, Möbel zerkratzen und Polster ruinieren – in Walldorf-Süd droht handfeste Katzenrandale. Denn ab sofort dürfen die Tiere in einem großzügig abgesteckten Bereich im Süden der 15 000-Einwohner-Stadt, ganz in der Nähe der SAP-Zentrale, von ihren Haltern nicht mehr aus dem Haus gelassen werden. Rund 3000 Haushalte und gewiss mehrere hundert Katzen sollen betroffen sein, schätzt der Bürgermeister Matthias Renschler (FDP).

Der Katzen-Lockdown, der bis Ende August und danach auch in den Folgejahren bis 2025 gelten soll, ist allerdings nicht seine Idee, sondern die der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises. Es geht um den Schutz der Haubenlerche, eines selten gewordenen Singvogels. Um dessen Aussterben zu verhindern, droht der Kreis mit drakonischen Strafen. Sollte eine Katze im Schutzgebiet umherstreifen, werde gegen den Halter ein Zwangsgeld von 500 Euro verhängt, heißt es in der in dieser Woche erlassenen Allgemeinverfügung. Sollte eine Katze auf frischer Tat – beispielsweise mit Vogel im Maul – ertappt werden, wird es erst richtig teuer. Dann ist sogar eine Geldbuße von bis zu 50 000 Euro möglich.

Katzen sind nicht die einzigen Feinde

Die Haubenlerche steht in Deutschland auf der roten Liste. Die wenigen Brutgebiete, die es in Baden-Württemberg gibt, konzentrieren sich auf die sandigen Böden der nördlichen Oberrheintiefebene. Seit Jahren wird der schwindende Bestand von einem Fachbüro überwacht. Trotz vieler Bemühungen sei es aber nicht gelungen, das Vorkommen zu stabilisieren, begründet die Naturschutzbehörde ihren Erlass. So habe sich die Zahl der Brutpaare im Raum Walldorf zuletzt von sechs auf drei halbiert.

Auch Elstern, Rabenkrähen, Füchse und Marder setzten dem Bestand zu, räumen die Experten ein. Die Freigänger-Katzen seien im Hinblick auf die Problematik nur einer von mehreren Faktoren, in Walldorf wegen der Nähe zu einem Neubaugebiet aber nicht zu unterschätzen. Immer wieder seien vor allem Jungvögel am Ortsrand umherstreifenden Hauskatzen zum Opfer gefallen.

Vom Freigänger zum Stubentiger – geht das?

Katzenfreunde laufen nun Sturm. „Wir werden überschwemmt von Beschwerden aufgebrachter Bürger“, sagt Renschler. Auch der Bürgermeister ist nicht begeistert und sieht es ähnlich wie Ursula Gruss-Uhrig. „Freigänger-Katzen in einer Wohnung festzusetzen, das ist fast Tierquälerei“, sagt die Leiterin des Tierschutzvereins Arche Noah im nahen Schwetzingen. Wer die Freiheit gewohnt sei, lasse sich nicht zum Stubentiger degradieren. „Die Tiere gehen Ihnen die glatten Wände hoch.“

Die Idee der Behörde, die Katzen an einer maximal zwei Meter langen Leine auszuführen, hält sie ebenfalls nicht für zweckmäßig. Die erlaubte Alternative, das Tier zu tracken und so nachzuweisen, dass es nicht in der Nähe der Brutreviere verkehre, dürfte heikel sein. Sie rate den Haltern, mit ihren unterforderten Katzen viel zu spielen, sagt Gruss-Uhrig. „Aber Berufstätigen ist das ja kaum möglich.“

Was sagt das Umweltministerium?

Man solle doch lieber Baumstämme präparieren, damit die Katzen nicht hinaufkämen, sagt Gruss-Uhrig. Doch das würde nicht helfen. Die Haubenlerche ist Bodenbrüter, ihr flugunfähiger Nachwuchs den Katzen hilflos ausgeliefert. Auch sonst macht es die Haubenlerche ihren Beschützern nicht leicht. Bei der Ausweisung des Walldorfer Neubaugebiets war extra ein Gelände als neues Habitat ausgewiesen worden – mit idealen Bedingungen, wie die Naturschützer dachten. Doch die Haubenlerche brütet weiterhin lieber im Neubaugebiet. Sogar Baustopps mussten deshalb verhängt werden.

Im Landkreis Karlsruhe, wo die Haubenlerche bei Rheinstetten brütet, ist bisher kein Hausarrest für Katzen im Gespräch. Das Problem Hauskatze sei im Zusammenhang mit dem Schutz des Vogels bisher nicht bekannt geworden, sagt ein Sprecher. Überraschung herrscht auch im Umweltministerium. „Wir wissen von nichts“, heißt es aus dem Ministerium. Die ersten Anwohner drohen derweil mit Klagen. In der Unteren Naturschutzbehörde ist man sich jedoch sicher. Man habe die widerstreitenden Rechtsgüter abgewogen. „Die Maßnahme ist geeignet, erforderlich und angemessen.“

Schöne Stimme, aber selten

Aussehen
 Die Haubenlerche wird 18 Zentimeter groß und wiegt weniger als eine halbe Tafel Schokolade. Charakteristisch ist ihre Federhaube. Sie singt melodiös und kann andere Vögel nachahmen.

Vorkommen
 In Europa sind 98 Prozent der Population verschwunden. In Baden-Württemberg gibt es nur noch 60 Brutreviere.