Scholz betonte, dass er als Kanzler einen Schwerpunkt auf soziale Sicherheit legen würde. Foto: LICHTGUT/Leif Piechowski/Leif Piechowski

Auf Einladung unserer Zeitung ließ sich SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Hospitalhof befragen. Dabei macht er deutlich, dass er als Regierungschef die soziale Sicherheit stärken will. Hart ins Gericht geht der Vizekanzler mit dem bisherigen Koalitionspartner.

Stuttgart - Gut gelaunt sitzt Olaf Scholz im Stuttgarter Hospitalhof auf der Bühne. Seine Stimmungslage, so räumte es der Sozialdemokrat freimütig ein, hat natürlich mit den aktuellen Umfragewerten zu tun. Mit „heiterer Gelassenheit“ sei er vor inzwischen mehr als einem Jahr nach seiner Nominierung als SPD-Kanzlerkandidat in den Wahlkampf eingestiegen, sagte der 63-Jährige. „Die nimmt natürlich zu.“ Keine zwei Wochen mehr sind es bis zur Bundestagswahl, in verschiedenen Umfragen liegt die schon von vielen abgeschriebene SPD als stärkste Kraft an der Spitze und könnte demnach mit Scholz den nächsten Kanzler stellen.

Der SPD-Kanzlerkandidat war am Montagabend auf Einladung unserer Zeitung in der Landeshauptstadt. Im Hospitalhof stellte sich Scholz den Fragen von Swantje Dake, Digitalchefredakteurin von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, sowie von Christoph Reisinger, Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten. Die Podiumsdiskussion war mit 350 Leserinnen und Lesern vor Ort ausgebucht, pandemiebedingt war eine größere Teilnehmerzahl nicht möglich. Die Podiumsdiskussion mit dem Titel „Das Rennen um das Kanzleramt: Corona, Klima und Konflikte – so will Olaf Scholz Deutschland regieren“ wurde auch live im Internet übertragen.

Warum ist die SPD so zahm?

Scholz und die SPD sind bisher die große Überraschung des Wahlkampfes. Nicht nur wegen der starken Umfragewerte der Genossen im Wahlkampfendspurt, sondern auch wegen der auffälligen Einigkeit in der zuletzt so streiterprobten Partei. „Wie haben Sie das geschafft?“, wollte Digitalchefredakteurin Swantje Dake von dem Vizekanzler wissen. „Wir haben uns das vorgenommen, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen“, antwortete Scholz, der vor seiner Berufung zum Kanzlerkandidaten in der eigenen Partei durchaus umstritten gewesen ist. Die nun seit einem Jahr in der SPD herrschende Geschlossenheit werde es aber auch nach der Wahl noch geben, versicherte Scholz den Wählerinnen und Wählern.

Der Sozialdemokrat machte an diesem Abend deutlich, dass er als Kanzler einen Schwerpunkt seiner Politik auf soziale Sicherheit legen will. So hält er die rasche Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro für „dringend notwendig“. Denn dieser Schritt bedeute eine Gehaltserhöhung für zehn Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland. Überhaupt der Mindestlohn: Was unterscheide Olaf Scholz von der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), wird der Gast gefragt. „Dass ich für den Mindestlohn war und sie ihn hingenommen hat“, antwortete der SPD-Bewerber.

Scholz verspricht stabile Renten

Zur sozialen Sicherheit gehört für den SPD-Kandidaten aber auch die Stabilität der Rente. Als Christoph Reisinger nach der Finanzierbarkeit des Rentensystems in der Zukunft fragte, gab Scholz das Versprechen für stabile gesetzliche Renten ab: „Es muss Vertrauen in die Rentenversicherung existieren.“ Was dann allerdings nicht möglich sei: Steuersenkungen für Bestverdiener im Wert von 30 Milliarden Euro, wie sie die Union verspreche. „Das halte ich für Ideologie, die gegen die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger gerichtet ist“, attackierte Scholz die politische Konkurrenz.

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Dass die SPD in der kommenden Regierung eine gewichtige Rolle spielen könnte, beschäftigt inzwischen nicht nur die Union und ihren Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU), sondern auch die Leserinnen und Leser. Viele wollten in vorab eingereichten Fragen wissen, ob Scholz im Falle eines Wahlsiegs eine Koalition mit der Linkspartei eingehen würde. Da Scholz eine Festlegung in der Frage bisher aber hartnäckig vermeidet, sollte er die Frage beantworten, welche Ministerposten die linken SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans und ihr Stellvertreter und früherer Juso-Chef Kevin Kühnert in einer von ihm geführten Regierung bekommen sollen. Aber auch hier wollte Scholz sich vor der Wahl nicht festlegen. Als Regierungschef in Hamburg habe er sein Kabinett stets mit Ministern besetzt, die ihre Aufgabe gut beherrscht hätten. „Das Prinzip würde ich gerne nicht aufgeben.“ Skepsis gegenüber einem möglichen Einfluss des linken SPD-Flügels auf einen Bundeskanzler Olaf Scholz bemühte sich der Kanzlerkandidat zu entkräften: „Die SPD weiß, was sie entschieden hat, als sie mich zum Kanzlerkandidaten gemacht hat.“ Was er jetzt vor der Wahl sage, werde auch danach die Regierungspolitik sein.

Sticheleien gegen die Landesregierung

Angesprochen auf die jüngsten Geschehnisse in Afghanistan äußerte sich Scholz „sehr bedrückt“ darüber , dass das Land nach einem so langen Militäreinsatz der Bundeswehr und der anderen ausländischen Truppen den radikalislamischen Taliban fast kampflos übergeben worden sei. Scholz bekannte sich zu der Aufnahme der früheren Mitarbeiter der Bundeswehr in Deutschland. Dabei handele es sich um eine „überschaubare Zahl“. Andere afghanische Flüchtlinge sollten jedoch in den benachbarten Staaten anständig untergebracht werden.

Die SPD lag noch bis vor wenigen Wochen bei nur etwa 15 Prozent in den Umfragen. Union und Grüne machten sich bereits schöne Augen, alles schien auf ein schwarz-grünes Bündnis nach der Wahl hinauszulaufen. Nun lässt Scholz keinen Zweifel daran, dass er gerne eine Regierung mit der Umweltpartei bilden würde, zumal der SPD-Kandidat in der Bewältigung des Klimawandels ebenfalls eine der drängendsten Aufgaben der nächsten Regierung sieht. Bei den Ausbauzielen für die erneuerbare Energie gebe es eine weitgehende Einigkeit zwischen den beiden Parteien, sagte Scholz. Allerdings fehle es bei den Grünen „ein bisschen an der praktischen Umsetzung“ – diesen Seitenhieb auf die von den Grünen geführte Regierung in Baden-Württemberg könne er sich bei einem Besuch in Stuttgart nicht verkneifen, fügte der Norddeutsche unter Verweis auf die magere Bilanz von zwölf neu gebauten Windkraftanlagen im Land im vergangenen Jahr hinzu. Dies war jedoch der einzige Punkt, in dem Scholz sanft gegen die Grünen stichelte. Seine Kritik richtete der Sozialdemokrat in erster Linie gegen CDU und CSU. So warf Scholz der Union etwa vor, den Klimaschutz und den Umbau der deutschen Industrie in der gemeinsamen Regierung der Großen Koalition verschlafen und blockiert zu haben.

Ein Besucher rät Scholz zur Fliege

Doch Scholz beantwortete nicht nur ernste Fragen: Werde ein Kanzler Olaf Scholz eine Krawatte tragen? „Meistens werde ich eine Krawatte tragen, aber nicht immer“, verriet der an diesem Abend krawattenlose SPD-Politiker. Als ein Besucher im Saal ihm empfahl, es doch mit einer Fliege zu versuchen, musste Scholz jedoch passen: „Die Krawatte kann ich binden, die Fliege nicht.“