Das sind Scharping (von links): Kevin Kuhn, Angelo Fonfara, Christian Heerdt und Jermain Herold. Foto: Glitterhouse/Marcus Wojatschke

Scharping bringen auf ihrem Debütalbum „Unser Charping“ Disco, Hardrock, New Wave, Deutschpop und Minnegesang durcheinander. Die eine Hälfte dieser Indiepop-Supergroup bilden die Ex-Stuttgarter Kevin Kuhn und Angelo Fonfara.

Mal nimmt man im „Nachtzug nach Neapel“ Platz, der im Dreivierteltakt dann doch bloß bis nach Osnabrück kommt. Mal tanzen Urzeitviecher in „Die Dinosaurier, bitte!“ so lange zu funky groovendem New Wave, bis mit zauseligem Progrock ein Komet einschlägt. Mal wird in der Ballade „Alles gut“ zwischen Speedway und Stau, zwischen „miez, miez“ und „wau, wau“ nach einem richtigen Leben im falschen gesucht. Und mal lässt „The Power of Love“ kokett die Frage offen, ob hier Frankie goes to Hollywood, Jennifer Rush oder Huey Lewis & The News Pate gestanden haben.

Stuttgart war richtig krass. Das war einmal“

Man weiß nie, was als Nächstes passieren wird, nichts ist sicher in diesem exzentrischen Popkosmos aus 13 Verwirrspielen, den dieses Album namens „Unser Charping“ beherbergt, das Debüt des Quartetts Scharping. So eine Band kann nur im Berliner Hipster-Biotop Friedrichshain gedeihen und erblühen. Allerdings ist die Hälfte der Schrulligkeit aus Stuttgart importiert. Kevin Kuhn kennt man vor allem als Schlagzeuger der Band Die Nerven, aber auch als Mitglied der Wolf Mountainsund als Aushilfs- und Gelegenheits-Drummer von so sämtlich jeder Band, die irgendwann mal im Wagenhallen-Umfeld entstanden ist. Seit einiger Zeit lebt er nun in Berlin. Dorthin ist schon Jahre früher Angelo Fonfara von Stuttgart aus gezogen. „Ich war schon seit längerer Zeit nicht mehr in Stuttgart“, sagt Fonfara, „aber alles, woran ich mich noch erinnere, gibt es nicht mehr: die Röhre, das Rocker 33, den Kellerklub oder das Zwölfzehn.“ Und auch Kuhn wird beim Thema Stuttgart nostalgisch. „Das Stuttgart der Jahre zwischen 2005 bis 2010 war richtig krass. Da gab es so viele lokale Bands, so viele verschiedene Genres. Das war einmal.“

Ein wunderbares Durcheinander an Genres und Stilen

Weil es nirgendwo so viele Auftrittsmöglichkeiten für Bands gibt wie in Berlin und dort auch die Proberäume noch einigermaßen bezahlbar sind, ist es kein Wunder, dass es alle Musiker dorthin zieht. Und so sind Kuhn und Fonfara nun zusammen mit Jermain Herold und Christian Heerdt Scharping. Seit 2017 gibt es die Band. Und einige Demokassetten und spektakuläre Shows später – etwa beim Reeperbahn-Festival, aber auch in Stuttgart – ist jetzt endlich das Debütalbum von Scharping erschienen.

Das Album beginnt zwar mit einem Zitat aus Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“, doch wenn „Unser Charping“ eine Ausstellung ist, dann muss der Kurator auf Droge gewesen sein, als er sie zusammengestellt hat. Denn hier passt eigentlich überhaupt nichts zusammen. Es herrscht ein wunderbares Durcheinander an Genres und Stilen auf der Platte. „Wir spielen gerne mit Erwartungshaltungen – und brechen diese dann“, sagt Kevin Kuhn beim Treffen in der Kinobar der Tilsiter Lichtspiele in Friedrichshain. „Wir wollen, dass bei uns Dinge zueinanderfinden, die eigentlich nicht zusammenpassen“, sagt Angelo Fonfara.

Indierock-Gemischtwarenladen

Auch die vier Männer, die in dem Indierock-Gemischtwarenladen namens Scharping an der Theke stehen, sich sowohl als Songwriter als auch als Sänger immer wieder abwechseln, passen eigentlich nicht wirklich zusammen – zumindest, was ihren Musikgeschmack angeht. Hier treffen Vorlieben für Elektropop, Jazz, R’n’B, schrammeligen Indie, lärmenden Noiserock und obskuren Metal aufeinander. „Ich glaube aber“, sagt Kuhn, „uns ist gemeinsam, dass wir alle so eine Affinität zu den Radio-Pophits aus unserer Kindheit, zu One-Hit-Wundern aus den 80ern und 90ern haben.“

Auch die Lust am Schrulligen verbindet die vier. Da ist zum Beispiel „I smoke me fat“, eine bekifft groovende Nummer , die vormacht, wie Deutschrap geklungen haben könnte, wenn er schon in den 1970er Jahren erfunden worden wäre. Oder das ist die komplett ironiefreie Interpretation von Gottfried von Niefens Minnelied „Saelic saelig sî diu wunnen“. Auch wenn Scharping mal nicht mittelalterlichem Minnegesang ausprobieren, sind die Texte ähnlich verwirrend wie die Musik, bieten einen Verweiskosmos, in dem man sich heillos verheddern kann. Hier wird Diskurspop ad absurdum geführt. Das fängt schon beim Bandnamen und Albumtitel an. Zwischen dem ehemaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping und der Familienserie „Unser Charly“ tut sich ein Knäul an Deutungsmöglichkeiten auf, das Kuhn und Fonfara nur ungern entknoten wollen.

Kaffeetrinken mit Lars Eidinger

Ebenso gibt es keine wirkliche Antwort auf auf die Frage, warum Max Gruber (Drangsal) beim Videoclip zu dem Scharping-Song „Alternative zur Umwelt“ den Moderator einer Dart-Meisterschaft spielt („Der ist einfach auf dem Set aufgetaucht“, behauptet Kuhn). Und auch den Song „Lars Eidinger hat keine Freunde (nur Bekannte)“, wollen Kuhn und Fonfara lieber nicht entschlüsseln: „Ich habe aber tatsächlich mal mit Eidinger Kaffee getrunken, als die Nerven in der Schaubühne in dem RAF-Stück mitgespielt haben“, sagt Kuhn, „aber da wusste ich noch gar nicht, wer das ist.“

Scharping: Unser Charping

Band
 Kevin Kuhn (Die Nerven), Angelo Fonfara (Nille Promille), Jermain Herold (Lost Girls) und Christian Heerdt (Botschaft) sind Scharping und damit fast so etwas wie eine Indiepop-Supergroup. 2019 haben sie die EP „Powerplay“ mit so wunderbaren Titel wie „Hey Jan Böhmermann, schaff doch mal den Alk jetzt ran!“ oder „Wodka Lemon (Miami Shice)“ veröffentlicht.

Album
 „Unser Charping“ (Glitterhouse), das im April erschien, ist ein Kuriositätenkabinett, das in der Tradition der abstrusen Popexperimente von Frank Zappa oder Ween steht. Hier trifft New Wave etwa auf Hardrock und Hip-Hop auf Minnegesang.

Konzerte
Wer Scharping live hören will, muss vorerst noch nach Berlin reisen. Im Indierock-Club Schokoladen feiert die Band am 21. Mai die Album-Release-Party. Kevin Kuhn kann man mit den Nerven am 12. Juni beim Maifeld Derby in Mannheim und am 21. Juni in der MHP-Arena in Ludwigsburg (dort im Vorprogramm der Einstürzenden Neubauten) erleben.