Mutmaßliche Rechtsterroristen bei Alfdorf: Anders als der Generalbundesanwalt sehen die Richter im Treffen nicht die Gründung der Gruppe S.. Foto: StN/StN

In einem rechtlichen Hinweis kommen die fünf Richter im Verfahren um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. zu anderen Ergebnissen als der Generalbundesanwalt: Vier der zwölf Angeklagten könnten nur Unterstützer der Gruppe sein, der Spitzel der Polizei hingegen einer der Mitbegründer.

Stuttgart - Im Prozess um die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht sind die Richter des 5. Senats überraschend zu einer von der Anklageschrift des Generalbundesanwalts abweichenden Einschätzung gekommen. Für sie sind drei der bislang elf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschuldigten Angeklagten nur der Unterstützung der möglichen Terrorgruppe verdächtig. Dieser bislang nur für Thorsten W. geltende Vorwurf umfasst jetzt auch Stefan K., Markus K. und Marcel W..

Den aus Kirchheim unter Teck stammenden Michael B. verdächtigen die Richter hingegen, Beihilfe zur Rädelsführerschaft in einer Terrorgruppe geleistet zu haben. Die Anklage sieht in dem 49-jährigen bislang lediglich ein Mitglied der Gruppe. Dem umstrittenen Informanten des baden-württembergischen Landeskriminalamtes, Paul-Ludwig U., werfen die Richter außer seiner Mitgliedschaft in der nach dem Hauptangeklagten Werner S. benannten Organisation jetzt auch vor, diese mitbegründet zu haben.

Kinderpornografisches Material gefunden

U. befindet sich im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten auf freiem Fuß. Die Verteidiger Jörg Becker und Heiko Hofstätter regten an, auch den Spitzel in Haft zu nehmen. Ihrem Vorschlag schlossen sich mit Ausnahme von U.s Anwälten alle anderen Verteidiger an. U.s Rolle in der Gruppe ist bislang unklar: Obwohl er im Verfahren als Beschuldigter gilt, erhielt er offenbar Informationen über die Strategie der Ermittler. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung im Februar 2020 wurde kinderpornografisches Material gefunden, das Verfahren dazu inzwischen eingestellt.

Aus den Vernehmungen U.s geht hervor, dass er wöchentlich 100 Euro vom LKA für seinen Lebensunterhalt erhielt. Nicht geklärt ist bislang, seit wann ihm das Geld ausgezahlt wurde und ob er es immer noch bekommt. Einem Vermerk seiner früheren Bewährungshelferin zufolge berichtete er ihr bereits im Mai 2019, dass er eine rechte Terrorgruppe unterwandert habe, von geplanten Anschlägen auf Moscheen und dass er für die Ermittlungsbehörden arbeite. Zu diesem Zeitpunkt kannten sich allerdings viele der Beschuldigten noch gar nicht. Gegenüber den Ermittlern sprach er von „einer Rolle“, die er spiele. Die Verteidiger sehen in U. einen Provokateur, der maßgeblich das Handeln der Gruppe beeinflusste.

Die zwölf Angeklagten sollen sich zusammengeschlossen haben, um Anschläge auf Moscheen in Deutschland zu verüben. Die Rede sei auch, so die Anklage, von Attentaten auf die beiden Grünen-Politiker Robert Habeck und Anton Hofreiter gewesen. Mit ihren Aktionen habe die Gruppe einen Bürgerkrieg provozieren und den Sturz des politischen Systems in Deutschland herbeiführen wollen, sind die drei Staatsanwältinnen überzeugt.

Richter sehen anderes Gründungsdatum als die Ankläger

Anderer Ansicht als der Generalbundesanwalt ist das Richterquintett auch beim Gründungsdatum der Gruppe. Für die Staatsanwälte gründete sie sich am 28. September 2019 auf dem Grillplatz Hummelgautsche bei Alfdorf im Rems-Murr-Kreis. Für die Richter gilt hingegen ein Treffen am 8. Februar 2020 im Haus des Angeklagten Thomas N. im nordrhein-westfälischen Minden als Gründungstag. Sechs Tage später, am 14. Februar, durchsuchten Polizisten in mehreren Bundesländern Wohnungen der 13 Verdächtigen und nahmen sie fest. Ein auf Observationen spezialisiertes Mobiles Einsatzkommando (MEK) aus Baden-Württemberg war zuvor von Paul-Ludwig U. und einem Kumpanen auf ihrem Weg vom Treffen nach Hause enttarnt worden. Damit flogen die seit September 2019 andauernden Ermittlungen auf. Die Polizei entschloss sich, zuzugreifen. Einer der Beschuldigten nahm sich im Sommer 2020 in der Justizvollzugsanstalt Dortmund das Leben.

Mit ihrem rechtlichen Hinweis am 20. Verhandlungstag wollen die Richter ein faires Verfahren gewährleisten und alle Prozessbeteiligten vor überraschenden Entscheidungen schützen. Außer dieser Information ersetzten die Richter die bislang geltenden elf Haftbefehle durch neue und ordneten an, das die Angeklagten – mit Ausnahme Paul-Ludwig U.s – in Untersuchungshaft bleiben. Das Verfahren in Stuttgart-Stammheim hat in diesem April begonnen und ist aktuell bis Mitte kommenden Jahres terminiert.

Ein Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung erwartet nach Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches eine Gefängnisstrafe von drei bis zehn Jahren. Mitglieder einer solcher Organisation werden mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren bestraft, wer eine Vereinigung unterstützt mit Freiheitsentzug zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.