Im Stuttgarter Verfahren um die mutmaßliche Terrorgruppe um Prinz Reuß sagte ein Waffengutachter des BKA zu Modellwaffen und deren Manipulationen aus: Mit einer solchen Waffe soll in Reutlingen ein Mann auf Polizisten des SEK geschossen und einen schwer verletzt haben.
Für ein paar Stunden gehörte der erste Sitzungssaal des Stuttgarter Oberlandesgerichts quasi der Maus. Diesem Wesen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) mit orangem Fell, schwarzen Ohren und Kulleraugen, das Kindern und Junggebliebenen erklärt, wie die Dinge des Lebens funktionieren. In diesem Fall trug die Maus eine Brille, einen schwarzen Anzug, taubengraues Hemd und schwarze Krawatte. Sie ist 38 Jahre alt und arbeitet als Sachverständiger im Bundeskriminalamt (BKA): Experte für alles, was mit Schusswaffen zu tun hat.
Ähnlich geduldig und verständlich wie man es aus der Kultsendung des WDR kennt, erklärte der Gutachter den beiden Richtern und drei Richterinnen des 3. Strafsenats, aber auch den Verteidigern und neun Angeklagten die Welt der Pistolen, Revolver und Gewehre. Denn, so klagt es der Generalbundesanwalt an, alle neun Angeklagten sollen eine Heinrich XIII. Prinz Reuß zugerechnete Terrorgruppe gebildet haben. Einer von ihnen, Markus L., soll zudem versucht haben, zwei Polizisten zu ermorden. Verbrechen, für die das Gesetz Strafen von bis zu zehn Jahren Haft und lebenslangem Gefängnis vorsieht.
Im März 2023 hatte L. in Reutlingen auf Polizisten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) geschossen, einen der Beamten so schwer verletzt, dass der mit dem damals getroffenen rechten Arm gerade noch ein gefülltes Wasserglas heben kann. Als die Polizisten damals die Dachgeschosswohnung L.s durchsuchen wollten, wussten sie, dass der passionierte Sportschütze legal 22 Waffen und 15 Waffenteile besaß. Das Gewehr, mit dem er mutmaßlich die SEK-Beamten unter Feuer nahm, hatte er aus vier verschiedenen Waffenteilen zusammengebaut: ein in Deutschland vertriebenes Gehäuse hatte er um ein US-amerikanisches ergänzt, ein israelisches Griffstück und einen US-Vorderschaft hinzugefügt und hielt so am 23. März eine „voll funktionsfähige Waffe“ in den Händen: einen Nachbau des US-Sturmgewehrs AR-15.
Am Maschinengewehr rumgebastelt
Auch an dem Maschinengewehr, das die Polizisten im Eingangsbereich des Wohnzimmers fanden, entdeckte der BKA-Gutachter, war herumgebastelt worden: So war an dem unbrauchbar gemachten Maschinengewehr Crevna Zastrava M 53 eine Schweißnaht entfernt worden, die verhindert, dass die Schulterstütze der Modellwaffe abgedreht werden kann.
Das ist notwendig, um den Verschluss entnehmen zu können. Dieses Waffenteil hat zwei Funktionen: Zum einen ist in ihm der Schlagbolzen verbaut. Dieser fingerlange Nagel schnellt von einer Feder getrieben im Gehäuse der Waffe nach vorn, trifft auf den Boden einer Patrone und zündet so die Treibladung, die das Projektil durch den Lauf auf das Ziel hin hinausstößt.
Der Rest des Verschlusses dichtet das Waffengehäuse so ab, dass möglichst viel Energie der Explosion auf das Geschoss konzentriert wird.
1300 Schuss in der Minute
Bei Modellwaffen wurde der Verschluss unbrauchbar gemacht, kann aber ausgetauscht werden, wenn die Schulterstütze am hinteren Ende der Waffe abgedreht wird. Eine zweite Schweißnaht verhindert beim Nachbau des auch von der Bundeswehr verwendeten MG 3, dass durch eine links an der Waffe angebrachte Klappe der Lauf entnommen und durch einen funktionsfähigen ersetzt werden kann.
„Ein Rohrwechsel wäre jetzt möglich gewesen“, stellte der BKA-Experte fest. Das MG sei so zwar noch „nicht funktionsfähig gewesen, aber man hätte sie weiter zu einer funktionsfähigen Waffe umbauen können“. Also nur noch wenige Bauschritte bis zu einer Waffe, die theoretisch bis zu 1300 Schuss in der Minute verschießen kann.
Illegales Arsenal unter dem Deckmantel legalen Waffenbesitzes
Unter dem Lauf einer in L.s Wohnung aufgefundenen Pistole vom Typ Glock-17 war ein Laserzielgerät angebracht worden. Das unterscheidet sich dadurch von einem Laserstift, dass es in Höhe und Seite so verstellbar ist, dass die Kugel auch dort trifft, wo der rote Punkt – wie in TV-Krimis – hinzielt. „So ein Zielgerät ist in Deutschland nur Spezialeinheiten in der Polizei vorbehalten“, sagte der Gutachter des Bundeskriminalamtes. „Für Sportschützen ist es verboten.“
Die Aussage des Sachverständigen untermauerte den Vorwurf des GBA, L. habe sich unter dem Mantel legal erworbener Waffen auch ein Arsenal illegaler Waffen zulegen wollen. Zumal der Waffenexperte weitere zwölf Waffen aus der Wohnung des Angeklagten benannte, die zu funktionsfähigen, scharfen Waffen umgebaut werden könnten. Das Verfahren in Stuttgart wird am 21. August fortgesetzt.