Die EU-Kommission kritisiert die Aushöhlung des Justizsystems in Polen und Ungarn. Aber auch Deutschland müsse nacharbeiten – zumindest bei der Bezahlung der Richter. Foto: dpa/David-Wolfgang Ebener

Die EU-Kommission mahnt beide Länder wegen Defiziten in Sachen Demokratie und Grundrechten. Kritik auch an Deutschland.

Polen und Ungarn bleiben die Sorgenkinder Europas. Die EU-Kommission hat beiden Ländern gravierende Defizite in Sachen Demokratie und Grundrechte attestiert. „Es bestehen weiterhin ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der polnischen Justiz“, heißt es in dem am Mittwoch in Luxemburg veröffentlichten Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit in den 27 Mitgliedsländern. In Ungarn rügt die Brüsseler Behörde unzureichende Strafverfolgung „hochrangiger Korruptionsfälle“. Bereits 2020 und 2021 hatte die Kommission die Lage des Rechtsstaates in Polen und Ungarn kritisiert. Doch Konsequenzen gab es keine.

Gutes Zeugnis der EU für Deutschland

Deutschland stellte die EU-Kommission grundsätzlich ein gutes Zeugnis aus. Die Unabhängigkeit der Justiz werde weiter als sehr hoch wahrgenommen und Deutschland genieße ein hohes Level an Medienfreiheit und -vielfalt. Allerdings wurde darauf hingewiesen, dass Richter in Deutschland besser bezahlt werden müssten. Mit Blick auf bevorstehende Pensionierungen von Richtern gehe es auch um die Attraktivität des Berufs. Verbesserungsbedarf sieht die EU-Kommission zudem beim Wechsel von Politikern etwa in die Wirtschaft. Die sogenannte Abkühlphase für Bundesminister und parlamentarische Staatssekretäre nach ihrer Tätigkeit in der Politik müsse länger sein.

Der Ukrainekrieg warf auch seine Schatten auf die Präsentation des dritten Jahresberichtes. Man bewege sich in einem „außerordentlichen geopolitischen Kontext“, betonte die für Werte zuständige EU-Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova. Während der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine auch gegen Demokratie und Menschenrechte zu Felde ziehe, könne die EU „nur dann glaubwürdig sein, wenn in unserem eigenen Haus Ordnung herrscht“.

Millionenstrafe für Polen

Jourova bezog diesen Satz direkt auf Polen und Ungarn. Warschau hatte sich im Streit mit der EU-Kommission über die Einflussnahme der nationalkonservativen Regierung auf die Justiz auf die EU zubewegt. Nach einer Millionenstrafe des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hatte die Regierung erste Zugeständnisse gemacht. Am Freitag tritt in Polen ein Gesetz zur Abschaffung der umstrittenen Disziplinarkammer in Kraft, die missliebige Richter entlassen oder betrafen kann. Dies reicht der EU-Kommission zufolge jedoch nicht aus, um die Gewaltenteilung zu garantieren und verlangt eine grundlegende Reform des Systems.

Ungarn wird neben der Gängelung von Justiz und Medien zudem des Missbrauchs von EU-Geldern verdächtigt. Die EU-Kommission hatte deshalb im Februar kurz nach der Wiederwahl von Regierungschef Viktor Orban ein Sanktionsverfahren eingeleitet. Als härtestes Druckmittel nutzt die EU im Moment den Corona-Wiederaufbaufonds. Solange Polen die Kommissionsforderungen nicht erfüllt, muss das Land auf Mittel im Umfang von 35,4 Milliarden Euro verzichten. Ungarn hat bisher keine Aussicht auf die erhofften 7,2 Milliarden Euro.

Parlamentarier fordern härtere Schritte

Viele Parlamentarier fordern von der EU-Kommission immer lauter massivere Schritte beide Staaten. „Es wurde nun zum dritten Mal ein Bericht vorgelegt, der die Missstände in Ungarn auflistet“, beklagt Grünen-Politiker Daniel Freund, Mitglied im Haushaltskontrollausschuss. Allerdings halte die Kommission einmal mehr nur „große Reden, löst aber kein Verfahren aus“. Er fordert, dass die EU Polen und Ungarn endlich massiv die Gelder kürzen müsse, um Druck auf die Regierungen auszuüben, den Demokratieabbau wieder rückgängig zu machen.

Das Parlament hatte in dieser Sache bereits vor einigen Monaten die Kommission wegen Untätigkeit verklagt. Nun geht Daniel Freund noch einen Schritt weiter. Er will die Abgeordneten dazu bewegen, einem Misstrauensantrag gegen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zuzustimmen. In seinen Augen ist vor allem sie dafür verantwortlich, dass kein Verfahren gegen Polen und Ungarn eingeleitet wird.

Innere Bedrohung der EU

Ähnlich wie Daniel Freund, beklagt auch Katarina Barley, Mitglied des Innenausschusses, eine in ihren Augen zu nachsichtige Haltung der Kommission gegenüber den beiden Staaten. „Bei der PiS-Regierung in Polen und Viktor Orbán in Ungarn lässt die EU-Kommission eine deutliche Sprache vermissen“, erklärt die SPD-Politikerin und betont, dass der „Abbau von Rechtsstaat und Demokratie die größte innere Bedrohung der Europäischen Union“ sei. „Die Ukraine und andere Beitrittswillige streben wegen dieser Grundwerte in unsere Gemeinschaft“, betont Barley und forderte: „Die Kommission muss nun nachverfolgen, ob die Regierungen ihre Empfehlungen auch umsetzt und sie andernfalls durch finanziellen Druck oder Vertragsverletzungsverfahren durchsetzen.“