Die Razzia gehen einen „Reichsbürger“ in Reutlingen fand mitten in einem Wohngebiet statt. Foto: Kevin Lermer/7aktuell.de

Am vergangenen Mittwoch wurde ein Polizist bei einer Razzia gegen „Reichsbürger“ in Reutlingen angeschossen. Der Extremismusforscher Miro Dittrich beschäftigt sich schon lange mit der Szene und sagt: Die Gefahr wird noch immer unterschätzt.

Wie gefährlich die „Reichsbürger“-Szene ist, wurde am vergangenen Mittwoch mal wieder deutlich. Bei einer Razzia gegen die Gruppe schoss ein Mann auf einen der SEK-Beamten, der dabei leicht verletzt wurde. Der Extremismusforscher Miro Dittrich vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMas) beschäftigt sich schon seit Jahren mit „Reichsbürgern“. Wieso er das Problem noch immer für unterschätzt hält, was er den Sicherheitsbehörden vorwirft und was eine Verschärfung des Waffenrechts bewirken könnte, erklärt Dittrich im Interview.

Herr Dittrich, Sie warnen schon lange vor der sogenannten „Reichsbürger“-Szene. Fühlen Sie sich eigentlich ernstgenommen?

Es ist schon so, dass die Sicherheitsbehörden besser verstehen, wie gefährlich diese Gruppe ist. Es gibt jetzt mehr Razzien und Ermittlungen gegen „Reichsbürger“ – das ist gut. Aber es reicht nicht. In der Ausbildung der Polizei kommt das Thema „Reichsbürger“ in vielen Bundesländern überhaupt nicht vor. Das frustriert mich schon. Das gilt auch für die Zahlen, mit denen Behörden arbeiten. Der Verfassungsschutz gibt an, es gebe etwa 23.000 „Reichsbürger“ in Deutschland. Ich kenne deutsche Telegram-Gruppen von „Reichsbürgern“, die 24.000 Mitglieder haben. So richtig ist das Problem noch immer nicht angekommen.

Wie genau verfolgen Sie, was sich bei den „Reichsbürgern“ tut?

Ich verfolge vor allem, was die Szene auf digitalen Plattformen macht. Die bekannteste ist vermutlich Telegram, weil es dort keine Moderation gibt und auch strafbare Inhalte geteilt werden können. Ich arbeite also mit offen zugänglichen Quellen, auf die Sicherheitsbehörden theoretisch auch zugreifen könnten. Aber das passiert bislang zu wenig.

Sie haben früh vorhergesagt, dass von den „Reichsbürgern“ eine hohe Gewaltbereitschaft ausgeht. Woran machen Sie das fest?

Was mit den „Reichsbürgern“ passiert, ist ein typischer Radikalisierungsprozess. Der beginnt klassischerweise mit einer gesellschaftlichen Krise. Daraufhin finden sich Leute zusammen, um zu demonstrieren. Die denken dann: Jetzt kommt der Volksaufstand – was natürlich nicht passiert. Wenn die Demonstrationen kleiner werden, gibt es immer einen harten Kern, der die Erzählungen einer allmächtigen Verschwörung unbeirrt glaubt. Die Leute denken, sie seien jetzt im Krieg. Und das führt irgendwann zu Gewalt. Dass das bei den „Reichsbürgern“ passieren würde, war seit März 2020 absehbar.

In Deutschland wird darüber diskutiert, das Waffenrecht zu verschärfen – auch weil „Reichsbürger“ immer wieder mit Waffengewalt auffallen. Halten Sie das für sinnvoll?

Das wäre auf jeden Fall sinnvoll. Es ist bekannt, dass sich seit der Pandemie viele neue Leute legale Waffen geholt haben. Auch die meisten Waffen, die nach der Razzia bei der sogenannten „Patriotischen Union“ gefunden wurden, waren legal. In Deutschland tun sich Behörden immer noch schwer damit, Extremisten Waffen zu entziehen. Das hat übrigens auch der Amoklauf von Hamburg gezeigt. Es muss viel besser geprüft werden, wer eine Waffenerlaubnis bekommt. Hinzu kommt, dass die Regeln in Deutschland viel zu schlecht kontrolliert werden. Auch das muss sich ändern.

An diesem Montag findet eine öffentliche Anhörung zum Demokratiefördergesetz statt, einem wichtigen Vorhaben der Ampelregierung. Damit sollen Projekte, die die Demokratie stärken, sicher und dauerhaft gefördert werden. Was erhoffen Sie sich von dem Gesetz?

Ich verfolge das Programm „Demokratie leben“ schon lange. Ich fand es sehr frustrierend, dass es sich lange gezogen hat, die Regelungen zu überarbeiten und dass dabei immer wieder gebremst wurde. Es ist gut, wenn sich nun bald wirklich was verbessert.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat gesagt, die Zivilgesellschaft sei „das stärkste Bollwerk gegen Extremismus“. Stimmt das auch in Bezug auf die „Reichsbürger“-Szene?

Absolut. Es kann nicht nur die Aufgabe von privaten Unternehmen und Sicherheitsbehörden sein, gegen Extremismus in der Gesellschaft vorzugehen. Zum Glück haben wir in Deutschland eine starke Zivilgesellschaft. Aber zuletzt bleibt natürlich auch die Politik verantwortlich.