Fußballmanager Fredi Bobic spricht im ARD-Talk am Montag Tacheles, und SPD-Chef Lars Klingbeil will mit Friedrich Merz (CDU) das EM-Finale feiern.
Alles sauber gelaufen in der Talkrunde „Hart aber fair“ am Montagabend. Dass Moderator Louis Klamroth wie beim letzten Mal ein Gesprächschaos duldete, das kam nicht mehr vor. Jeder ließ jeden ausreden. Aber ziemlich rasch ist die naive Leitfrage des Abends – „Wie geht ein zweites Sommermärchen bei der Europameisterschaft?“ – abgeräumt worden, um einem spannenderen Thema Platz zu machen. Ein Sommermärchen könne nicht herbeigeredet oder herbei geschrieben werden, so der EM-Song-Interpret und ehemalige Union-Berlin-Jugendspieler Tim Bendzko. Der SPD-Parteichef und Fußballfan Lars Klingbeil sekundierte mit der Bemerkung, man dürfe die EM und die deutsche Mannschaft auch nicht überladen mit Erwartungen. Ein Sommermärchen sei nicht planbar, aber immerhin würde die EM dem Zusammenhalt dienen und er natürlich gerne Deutschland „im Finale“ gar mit CDU-Chef Friedrich Merz gemeinsam anfeuern.
2006 sei Deutschland stolz darauf gewesen, ein offenes und freundliches Land zu sein, es habe da ein Fußballfest gegeben, ein Wir-Gefühl, aber jetzt seien 18 Jahre vergangen und man habe es „mit komplett anderen Realitäten“ zu tun, so die Sportjournalistin Lena Cassel. Niemand tue einem einen Gefallen damit, jetzt von einem „Sommermärchen 2.0“ zu sprechen, aber vielleicht könnten diese vier Wochen einer „Fußball-Euphorie“ während der EM der Gesellschaft auch als „kleine Batterieladestation“ dienen für die anstehenden Herausforderungen – genauer wurde sie nicht. Für Drive in der Sendung sorgte dann der Schwenk auf eine aktuelle dimap-Umfrage zur Nationalelf im Auftrag des WDR, wonach 21 Prozent der Befragten angaben, es wäre besser, „mehr Weiße“ würden in der Nationalmannschaft spielen. 66 Prozent waren im Gegensatz dazu der Ansicht, es sei gut, dass viele Spieler mit Migrationshintergrund in der Deutschlandauswahl spielten.
Doku will rassistische Haltungen wissenschaftlich überprüfen
Die Umfrage ist eine zentrale Aussage in der Dokumentation „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ von Philipp Awounou, ein Filmemacher mit afrikanischen Wurzeln. Sie schildert den Weg der Nationalelf von 2006 bis zur „diversen Einheit“ heute. Schon vor ihrer Ausstrahlung am Mittwoch war sie heftig umstritten. Besonders die zitierte Umfrage zog Empörung auf sich, Bundestrainer Julian Nagelsmann sprach von einer „Sch…Umfrage“ und er sei schockiert, dass solche rassistische Fragestellungen gestellt würden. Wie ein Super-Trailer zog sich dann die Erörterung dieser ARD-Dokumentation durch den gesamten Talk – mehr Werbung in eigener Sache geht nicht mehr: Aber interessant war es trotzdem.
Man sei in den Vorrecherchen auf Aussagen getroffen, dass die deutsche Nationalelf gar nicht „echt deutsch“ sei, berichtete Awounou. Ob dies nur auf „ein paar Internet-Trolle und Ewiggestrige“ zurück zu führen sei oder in der Gesellschaft salonfähig geworden sei – Stichwort Sylt – , dass habe man mit belastbaren Daten herausfinden wollen. „Wenn wir rassistische Haltungen wissenschaftlich überprüfen wollen, müssen wir auch die Frage stellen“, so Philipp Awounou. Eine der schockierendsten Szenen in der Doku ist, wie Awouno als Filmautor – ein dunkelhäutiger, junger Mann mit Rasta-Zopf – einem älteren Mann auf einem Supermarktparktplatz passend zur Umfrage folgende Worte entlockt: „Ein richtiger Deutscher ist hellhäutig.“
Klingbeil: Rassismus ist „leider wieder mehr geworden“
Awounou bringt in seinem Film auch „entlastende“ Szenen, etwa von einem lokalen Sportplatz, wo die Menschen sagen, es sei ihnen völlig egal, wo jemand herkomme. Und Awounou spricht auch von der politischen Kraft, die vom Fußball ausgehe. Dass auch Spieler „politische Player“ seien, dass „Repräsentationen und Integrationen“ auch subkutan passierten und einmal sei vor dem deutsch-ghanaischen Spieler Asamoah ein Mann in die Knie gegangen und habe ihm für sein Tor gedankt. Seit 2006 habe sich einiges geändert, auch verbessert, so Awounou, man habe einen türkischstämmigen Kapitän in der Nationalelf und diverse Spieler mit „anderer Hautfarbe“.
Im Studio hatten trotzdem die Pessimisten die leichte Oberhand. Der Rassismus sei „leider wieder mehr geworden“, stellte der SPD-Mann Klingbeil fest. Er bemerke dies an den Infoständen im Wahlkampf und bei Veranstaltungen mit Bürgern. Und Fredi Bobic, Fußballmanager und Europameister, meinte, dass es sehr schade sei, dass man über die 21 Prozent reden müsse. Rassismus sei ein gesellschaftliches Problem, nicht eins des Fußballs: „Die Kabine war immer schon weiter.“ Herkunft, Hautfarbe oder Religion spielten da keine Rolle. Natürlich werde dort gestritten, es gebe auch Spieler, die sich nicht leiden könnten, aber eigentlich gehe es immer nur um die Sache, Fußball.
Wie sehr sind Politik und Fußball verquickt
Eine erschütternde Erfahrung musste die deutsche U-17-Mannschaft nach ihrem WM-Sieg im Dezember 2023 machen, als eine Welle von Hass-Kommentaren durchs Internet ging und von „Schande“ die Rede war, nachdem ein Siegerfoto mit vier dunkelhäutigen Top-Spielern gezeigt worden ist. Der DFB verurteilte damals den „Rassismus, die Diskriminierung und Ausgrenzung“. „Das ist hart für die Jungs und tut ihnen weh“, sagt Fredi Bobic, der betont, dass auch er einen Migrantenhintergrund habe. Es sei nur die Gruppe, die Mitspieler, der Verein, der sie in einer solchen Situation auffangen könne. Ähnlich krass auch seien die Schmähungen gegen dunkelhäutige Spieler gewesen, so Bobic, die für die englische Nationalelf bei der EM 2021 im Endspiel die Elfmeter verschossen hatten, es sei ein Unding, dass jeder im Netz „seinen Müll“ ablassen kann.
Wie Politik und Fußball verquickt sind, das war ein Nebenaspekt der Talkrunde. Konsens war, dass Fußballer nicht die politischen und gesellschaftlichen Probleme lösen können. Ein Beispiel war die WM von Katar, wo Fußballer in der Frage der regenbogenfarben Binde alleingelassen wurden. „In Katar sind unsere Fußballer unter Druck gesetzt worden. Es ging bis kurz vor Anpfiff immer nur um die Binde, nicht um Fußball“, meinte Fatmire Alushi, Fußball-WM- und Europameisterin. „Man hätte unsere Jungs mehr in Schutz nehmen müssen.“
Aufschlussreich in der Sendung waren aber auch die Kommentare zum Einstieg des Rüstungskonzerns Rheinmetall bei Borussia Dortmund. Fredi Bobic fand das ganz okay, zumal ja alle Gremien bis zu den Fan-Clubs befragt worden seien und zugestimmt hätten. Aber die Journalistin Cassel sprach von einem „Störgefühl“ und der Sänger Bendzko meinte, Werbung für Waffen habe in Stadien nichts zu suchen. Uneinheitlich auch das Meinungsbild am Ende zur Frage Klamroths, wer denn Europameister 2024 werde: drei votierten für Deutschland, zwei für Frankreich, eine für Portugal.