Umweltminister Robert Habeck hat den Deal mit RWE mit ausgehandelt. Foto: dpa/Fabian Sommer

Der Polizeieinsatz in Lützerath wird für die Grünen zum Stresstest: Während die Parteiführung die Räumung des Weilers und den Kompromiss zum Kohleabbau verteidigt, übt der Nachwuchs offen Kritik.

Es knirscht merklich bei den Grünen. In der Debatte über die Räumung des Weilers Lützerath stehen sich innerhalb der Partei zwei Lager weitgehend uneinig gegenüber. Das Ganze ist längst zu einer handfesten internen Belastungsprobe geworden. Auf der einen Seite: das Führungspersonal, das den energiepolitischen Kompromiss zum Abbau der Braunkohle mitverantwortet und verteidigt. Auf der anderen Seite: ein Großteil des Parteinachwuchses, der mit der Abkehr vom programmatischen Markenkern schwer hadert.

Die Differenzen werden offen ausgetragen. Timon Dzienus, der Sprecher der Grünen Jugend, ist schon den zweiten Tag in Folge im Protestcamp vor Ort und macht gegen den Polizeieinsatz mobil. Lützerath sei beileibe nicht nur ein Symbol: „Es geht hier um so viel mehr: um die Kohle darunter – und ob Interessen von Konzernen oder Menschen vertreten werden“, schrieb er auf Twitter. Die geplante Verbrennung klimaschädlicher Kohle sei angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise grundfalsch.

Fraktionschefin Dröge: „Das Jahr 2023 beginnt für uns Grüne nicht einfach“

Die Parteispitze dagegen steht zu dem Deal, den sie in Person von Umweltminister Robert Habeck und Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Mona Neubaur im Oktober selbst mit ausgehandelt hat. Um acht Jahre wurde der Kohleausstieg in NRW vorgezogen, zudem fünf Dörfer vor dem Abriss bewahrt – im Gegenzug erhielt der Energiekonzern RWE die Erlaubnis zur Kohleförderung unter Lützerath.

Das Spitzenduo Ricarda Lang und Omid Nouripour hatte die Räumung der Siedlung in den vergangenen Tagen mehrfach verteidigt und zur Deeskalation aufgerufen. Am Donnerstag zog die Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, in Berlin nach: Der Beschluss sei „eine gute Entscheidung für den Klimaschutz“, da durch die Zugeständnisse von RWE eine Menge CO2 eingespart werde. Allerdings räumte auch Dröge ein, dass das Jahr 2023 für die Grünen nicht einfach beginne.

Auch um den Reservebetrieb von Atomkraftwerken gab es Kontroversen

Die Debatte über Lützerath ist das jüngste Beispiel für das Spannungsfeld zwischen Regierungsverantwortung und parteipolitischer Identität, in dem sich die Grünen seit Längerem bewegen. Zuvor hatte bereits die Zustimmung zum Reservebetrieb von Atomkraftwerken Gegenwind in der Partei aufkommen lassen, die unter anderem aus der Anti-Atomkraft-Bewegung entstanden war.

Ob es künftig ruhiger wird, ist fraglich: Im Oktober war auf dem Parteitag ein Antrag der Grünen Jugend zum Erhalt Lützeraths nur um Haaresbreite mit 294 zu 315 Stimmen gescheitert – diese Delegierten dürften weiter das Wort erheben. An Zuspruch haben die Grünen indes nicht verloren. Die bundesweiten Zustimmungswerte liegen seit Monaten konstant zwischen 17 und 20 Prozent.