Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ blockieren Straßen, um Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken. Foto: dpa/Paul Zinken

Teile der Klimabewegung setzen auf radikale Protestformen – sie blockieren Autobahnen oder drehen Öl-Pipelines ab. Was dahinter steckt und wie weit es noch gehen könnte erklärt Soziologe Sebastian Koos von der Uni Konstanz.

Herr Koos, Sie haben die Klimabewegung seit Längerem im Blick. Sind Sie überrascht, dass es vermehrt zu radikalen Protesten wie Straßenblockaden kommt?

Es war absehbar, dass Teile der Klimabewegung sich ein Stück weit radikalisieren werden. Im September 2019 haben wir Teilnehmende einer Demonstration von Fridays for Future befragt, damals hat fast ein Drittel angegeben, dass sich die Bewegung weiter radikalisieren müsse. Es ist aber wichtig zu differenzieren: Die Klimabewegung besteht aus verschiedenen Gruppen und Akteuren – mit verschiedenen Protestformen.

Welche Unterschiede gibt es da?

Der allergrößte Teil der Klimabewegung ist sehr friedlich – die Letzte Generation zum Beispiel ist nur eine sehr kleine Gruppe. Es gibt allerdings auch unter den Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future eine recht große Unterstützung für zivilen Ungehorsam. Gewalttätigen Protest lehnen unseren Untersuchungen zufolge dagegen mehr als 90 Prozent ab – und wenn, dann sind sie nur mit Gewalt gegen Dinge einverstanden, nicht gegen Menschen. Aktionen des zivilen Ungehorsams werden wir also weiterhin sehen – das könnte auch noch zunehmen. Aber so etwas wie eine „grüne RAF“ halte ich für eher unwahrscheinlich.

Trägt Frust dazu bei, dass Teile der Bewegung radikaleren Aktionen zustimmen?

Die Klimabewegung hatte gerade 2019 einen sehr großen Rückhalt in der Bevölkerung. Gleichwohl haben wir gesehen, dass die Forderungen, die die Aktivistinnen und Aktivisten stellen oder die Wissenschaftler nennen, nur zu einem sehr kleinen Teil umgesetzt werden. Das kann dazu führen, dass Aktivisten sich frustriert zurückziehen – oder zu radikaleren Protestformen greifen. Vor allem die junge Generation erlebt den Klimawandel als existenzielle Bedrohung, merkt aber, dass die Klimaziele auch wegen anderer Krisen immer wieder zurückgestellt werden. Protest ist ja eine Form der Kommunikation, des Widerspruchs. Wenn er nicht die gewünschte Resonanz erfährt, werden neue Aktionsformen ausprobiert. Die Schulstreiks waren 2019 innovativ, aber ihre Wirksamkeit hat nachgelassen.

Verspielt die Klimabewegung Sympathien – weil viele kein Verständnis für Sabotage haben?

Sehr radikale Aktionen würden dem gesellschaftlichen Rückhalt der Klimabewegung sicher schaden. Gewalttätiger Protest führt meist dazu, dass die Unterstützung sinkt. Ziviler Ungehorsam kann aber dafür sorgen, dass der Klimawandel präsent bleibt. Gerade wenn die gesellschaftliche Unterstützung groß ist, wählen soziale Bewegungen häufiger disruptive Taktiken, verzichten aber auf Gewalt.

Der Soziologe Sebastian Koos