Weltweit – wie hier in den USA – gehen Menschen auf die Straße, um ihren Unmut gegen das Regime in Iran lautstark kund zu tun. Foto: AFP/Olivier Douliery

Engagiert im Rems-Murr-Kreis: Zwei Frauen mit iranischen Wurzeln sprechen über die anhaltenden Proteste in ihrer Heimat, die Hoffnung auf den Systemwechsel – und die Freiheit.

Zahra ist müde. „Ich schlafe gerade sehr wenig“, sagt die 30-jährige Frauenrechtlerin aus dem Rems-Murr-Kreis, deren Eltern aus dem Iran stammen. Die Nächte nutzt sie am Computer und Handy, um Kontakt mit Familienangehörigen und Freunden in Iran zu halten. „Am besten geht das zwischen 23 und 2 Uhr, da funktioniert dort manchmal das Internet – wenn ich Glück habe.“ Wenn sie Pech hat, gibt es tagelang kein Lebenszeichen. Dann wächst die Angst, dass ihre Liebsten verhaftet, eingesperrt oder gar tot sein könnten. Denn viele von Zahras Verwandten, Freundinnen und Freunden sind Teil der seit Wochen anhaltenden Proteste in Iran, die nach dem Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam am 16. September begannen.

Plakate mit der Aufschrift „Frau, Leben, Freiheit“

Im rund viertausend Kilometer entfernten Teheran, in Isfahan und anderen Städten riskieren sie ihr Leben, um gegen das Regime zu protestieren. „Sie verabreden sich über Twitter zu den Demonstrationen, malen Plakate mit der Aufschrift ,Frau – Leben – Freiheit‘, und ,Weg mit Chamenei‘ oder präparieren Molotowcocktails.“

Aus Angst vor Repressalien möchte Zahra nicht, dass ihr voller Name bekannt wird. „Ich will nicht, dass meine Freunde und Familie wegen mir noch mehr in Gefahr geraten.“ Zwei Freunde seien bereits im berüchtigten Evin-Gefängnis am nördlichen Stadtrand von Teheran eingesperrt, ihr Schicksal sei ungewiss. „Ein anderer Freund wurde bei einer Demo festgenommen, auf der Polizeiwache haben sie ihm auf den Kopf und auf die Beine geschlagen, damit er nicht mehr auf die Demos gehen kann.“ Andere kämen, wenn überhaupt, nur gegen horrende Kautionen frei. „Eltern müssen sich für die Summen verschulden, sodass es die Kinder nicht wagen, wieder auf eine Demo zu gehen.“

Beispiele für Willkür und Brutalität der iranischen Behörden gebe es zuhauf: „Leute werden abgeführt auf Polizeistationen, sie werden bespuckt, geschlagen, gedemütigt, gefoltert. Frauen, aber auch Männer, werden vergewaltigt“, schildert Zahra. Und manche Gefangene sehe man nie wieder.

Antibabypillen ins Gefängnis

Es sind Schilderungen, die sich mit Berichten von Amnesty International decken. Zahra berichtet von einer Mutter, die tagelang nach ihrer inhaftierten 15-jährigen Tochter gesucht hat und sie schließlich im Gefängnis besuchen konnte. „Auf die Frage der Mutter, was sie bräuchte, hat die Tochter gesagt: ,Bring mir Antibabypillen.‘“

Der Terror, ob im Alltag oder bei Demonstrationen, werde die Massen nicht aufhalten, ist Zahra überzeugt. „Wir wollen keine Reformen, und es geht auch nicht darum, dass man das Kopftuch lockerer binden darf“, sagt sie. „Wir wollen einen Regimewechsel, wir wollen ein demokratisches System, wir wollen Rechte und Wahlen, und wir wollen einen säkularen Staat ohne Vermischung von Religion und Staat.“ Die Zeit der „unqualifizierten Mullahs, der Vetternwirtschaft, der mafiösen Strukturen und Korruption ist vorbei“, sagt sie.

Eine neue Dimension des Protests

Das sieht auch Soheyla Mielke so, die aus Iran stammt, seit 1983 in Deutschland lebt und die Vhs-Außenstelle in Korb leitet. Protestbewegungen habe es in der Vergangenheit in Iran immer wieder gegeben. 2009 sei es bei Protesten um Wahlmanipulation gegangen, 2018 um die Teuerungsrate der Benzinpreise. „Damals hat die Regierung Angst gesät, die verschiedenen Bevölkerungs- und Glaubensgruppen gegeneinander ausgespielt und sie als Separatisten dargestellt.“ Diesmal sei es anders. „Diesmal macht uns die Einheit stark, es ist das Volk, das auf die Straßen geht“, sagt Mielke. Der Widerstand gehe durch alle Schichten und Ethnien. „Und weil wir uns diesmal alle einig sind, haben unsere Proteste so großes Potenzial.“

Mit ein Grund für den Widerstand seien die gravierenden Einschränkungen der Menschenrechte in Iran. Eine verheiratete Frau dürfe ohne das Einverständnis ihres Mannes das Land nicht verlassen. Auch dürften Frauen bestimmte Berufe nicht ausüben. „Nach iranischem Recht ist eine Frau nur halb so viel wert wie ein Mann“, sagt Zahra. Besonders betroffen seien auch Schwule und Lesben. Ihnen droht in Iran die Todesstrafe.

Die Wirtschaft am Boden, keine Perspektive

Doch der Protest falle nicht nur deshalb auf fruchtbaren Boden, weil religiöse Minderheiten und Volksgruppen seit Jahrzehnten unterdrückt werden. Auch die miserable wirtschaftliche Lage in Iran trage zum Unmut in der Bevölkerung bei, sind sich Soheyla Mielke und Zahra einig. „Obwohl Iran reich an Bodenschätzen ist, ist unsere Wirtschaft total im Eimer, das Geld kommt nicht an der Basis an“, sagt Zahra. „Die Preise für Fleisch und viele andere Lebensmittel sind regelrecht explodiert, die Menschen hungern und haben nicht mal das Geld für die Bestattungen ihrer Verwandten.“

Selbst Studenten mit einem guten Abschluss fänden kaum einen passenden Beruf. „Es fehlt allen die Perspektive. Die Menschen haben nichts mehr zu verlieren.“ Auch das mache sie so entschlossen.

Warum es die Proteste in Iran gibt

Widerstand
 Auslöser der landesweiten, systemkritischen Massendemonstrationen nicht nur im Iran ist der Tod der 22-jährigen iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini. Sie fiel in Polizeigewahrsam ins Koma, wenige Stunden nachdem sie in Teheran von der sogenannten Sittenpolizei festgenommen worden war. Ihr Kopftuch habe ihr Haar nicht vorschriftsmäßig bedeckt, so der Vorwurf. Die Frau starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Aktivisten werfen den Sicherheitskräften vor, die junge Frau misshandelt zu haben.

Vortrag
 Der Orientalist, Historiker und Medienwissenschaftler Matthias Hofmann hält am Freitag, 11. November, 19 Uhr bis 20.30 Uhr, in der Volkshochschule Fellbach, Bahnhofstraße 23, Raum 1, einen Vortrag zum Thema „Steht der Iran vor einer neuen Revolution?“. Die Teilnahmegebühr beträgt 8 Euro. Anmeldung (Kursnummer 22H10128) ist unter 0 71 51/95 88 00 telefonisch möglich.