Michael Wehner ist auch bekannt als Vater des Kandidatomaten, bei dem man im Internet seine Überzeugungen mit den Wahlaussagen der Bewerber vergleichen kann. Foto: dpa/Patrick Seeger

Ein klarer Sieg für Boris Palmer und eine hohe Wahlbeteiligung bei der Tübinger OB-Wahl. Der Freiburger Politologe Michael Wehner erklärt die Gründe.

Trotz des klaren Sieges von Boris Palmer bei der Tübinger OB-Wahl sieht Michael Wehner, Leiter der Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg, eine gewisse Spaltung in der Stadt. Dafür spreche auch die phänomenal hohe Wahlbeteiligung.

Herr Professor Wehner, wurde Boris Palmer trotz oder wegen seiner umstrittenen Postings auf Facebook gewählt?

Zumindest hat er Social Media zur Mobilisierung seiner Anhänger genutzt. Wenn da provokative, populistische oder auch verletzende Äußerungen dabei waren, dann hat das ihm wohl nicht geschadet, sondern genutzt.

Eine absolute Mehrheit für Palmer im ersten Wahlgang – ist der Riss durch Tübingen, von dem im Vorfeld die Rede war, gar nicht so tief?

Das Ergebnis hat Palmer bestätigt. Dennoch haben auch seine beiden Konkurrentinnen zusammengenommen über 40 Prozent der Stimmen erhalten. Es hat also doch eine gewisse Polarisierung gegeben. Dafür spricht auch die hohe Wahlbeteiligung von 63 Prozent. Es gibt Untersuchungen, wonach man bei Städten dieser Größenordnung eher bei 36 Prozent liegt. Beide Seiten haben es also geschafft, ihre Wählerinnen und Wähler an die Wahlurnen zu bringen.

Sie hatten das Wahlergebnis schon vorher so getippt. Warum waren Sie sich so sicher, dass es für Palmer im ersten Wahlgang klappt?

Boris Palmer hat das Alleinstellungsmerkmal, der bundesweit bekannteste Oberbürgermeister einer Stadt zu sein. Er ist insofern eine Marke. Der Bekanntheitsgrad spricht deutlich für ihn. Er hat zur Mobilisierung seines eigenen Klientels ein hervorragendes Politmarketing betrieben und er hat auch das Macher-Image unter Beweis gestellt. Die Stadt steht gut da, wirtschaftlich, beim Klimaschutz, und er hat ja auch in der Coronazeit anfangs zwar auch umstrittene Äußerungen getätigt, aber mit dem Tübinger Weg auch dort eine Politik gefahren, die ihm letztendlich zugutegekommen ist.

Was bedeutet das Ergebnis für die Grünen im Land?

Das Parteiausschlussverfahren wird mit Sicherheit nicht einfacher. Es ist wohl davon auszugehen, dass Boris Palmer Mitglied der Grünen bleiben wird, zumindest wenn die Grünen ein Zugpferd, wenn auch ein sehr umstrittenes nicht verlieren wollen.

Herr Palmer hat sich mit seinen Äußerungen im Wahlkampf für seine Verhältnisse sehr zurückgehalten. Glauben Sie, dass das von Dauer sein wird?

Er hat ja bei der letzten großen Podiumsdiskussion viele um Verzeihung gebeten. Das klang versöhnlich und ein bisschen auch nach Altersweisheit. Allerdings hat er gleichzeitig deutlich gemacht, dass er ein impulsiver Politiker aus Leidenschaft ist. Insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich mäßigen kann, weil es in seiner Persönlichkeit angelegt ist, immer wieder Schlagzeilen zu produzieren und für seine Sache möglichst breite Resonanz zu erzeugen. Deshalb wäre ich da skeptisch.

Mann der politischen Bildung

Wissenschaftler
Michael Wehner leitet seit fast 30 Jahren die Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung. Außerdem ist der Politikwissenschaftler Honorarprofessor an der Uni Freiburg.

Kandidatomat
Wehner gilt als Vater des Kandidatomaten, eine Adaption des von Bundes- und Landtagswahlen bekannten Wahlomaten auf Oberbürgermeisterwahlen. Mit dem vor allem auf jüngere Wähler abzielenden Tool lassen sich im Internet eigene Überzeugungen mit denen der Kandidaten vergleichen. Im Vorfeld der Tübinger Wahl gab es allerdings Ärger wegen der ausgewählten Fragen.