Die Schuhe von Frank Stäbler – nach Bronze ließ sie der Ringer auf der Matte stehen. Foto: imago//nrico Calderoni

Nach fast drei Wochen in Tokio enden auch für unseren Reporter die Olympischen Spiele. Vier persönliche Erlebnisse werden ihm weit über den Schlusstag hinaus im Gedächtnis bleiben.

Tokio - Die Olympischen Sommerspiele von Tokio waren besondere – vor allem aufgrund der Corona-Beschränkungen. Vor der Reise nach Japan war Vieles unklar – auch für die Berichterstatter. Nach fast drei Wochen in Tokio lässt sich aber sagen: Es war trotz allem möglich, die großen Emotionen teils hautnah mitzuerleben. Vier Momente, die unser Olympia-Reporter in Tokio erlebt hat, werden ihm besonders im Gedächtnis bleiben. Sie haben mit deutschen Medaillengewinnen zu tun – aber nicht nur.

Jessica Bredow-Werndl: Emotionen hautnah

Es ist kein Geheimnis, dass Reiten nicht zu unseren absoluten Lieblingssportarten gehört. Der letzte Turnierbesuch liegt 15 Jahre zurück, damals begannen und endeten die Ambitionen unserer Tochter in der Führzügelklasse. Und nun also die olympische Dressur – in der alle Vorurteile in ein paar Minuten widerlegt wurden. Weil uns Jessica von Bredow-Werndl teilhaben ließ. An ihrem Leiden, ihren Emotionen, ihren Gefühlen.

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Als sie nach ihrem Auftritt in der Mixed-Zone stand, hatte sie Silber sicher, nur Isabell Werth musste noch ins Viereck. Sie schaute den Auftritt der Kollegin und Konkurrentin auf einem großen Bildschirm an, zitterte, bangte, hoffte. Und flüsterte, als sich unsere Blicke kurz trafen: „Ich halte es nicht mehr aus.“ Hat sie dann doch – und nach Gold im Team in einer Mischung aus Lachen und Weinen auch Gold im Einzel gewonnen. Jessica von Bredow-Werndl ist die neue Königin der Dressur, und wir waren bei ihrer Krönung ziemlich nahe dran. Räumlich. Und ein bisschen auch emotional. Was wir nie für möglich gehalten hätten.

Der Deutschland-Achter: Niederlage? Erfolg!

Es kann relativ viel Zeit vergehen, bis Medaillengewinner in der Mixed-Zone bei den schreibenden Journalisten ankommen. Zeit, die man nutzen kann. Also begannen wir nach Platz zwei des Deutschland-Achters, unseren Text zu schreiben. Der Einstieg handelte von Enttäuschung, einem geschlagenen Favoriten, nicht erfüllten Erwartungen. Dann bogen die Athleten um die Ecke – und erteilten allen, die so gedacht hatten, eine Lektion.

Weil sie einen Einblick in ihre Gefühlswelt gewährten. Und absolut glaubhaft, überzeugend und plausibel erklärten, warum diese Silbermedaille für sie keine Niederlage bedeutet. „Wer das Maximum gegeben hat, der darf sich auch über Rang zwei freuen“, sagte Schlagmann Hannes Ocik, „das ist unsere Botschaft in die Heimat.“ Sie ist angekommen, auch beim Reporter vor Ort. Als wir wieder am Laptop saßen, sind wir schnell zurückgerudert. Und haben den Text noch mal neu begonnen.

Frank Stäbler: Schuhe für die Geschichtsbücher

Jeder, der dabei war, als Frank Stäbler in der Halle A der Makuhari-Messe die Ringerschuhe auszog, wird diesen Moment nie mehr vergessen. Denn er markiert das Ende eines außergewöhnlichen Weges. Dreimal war der Musberger in unterschiedlichen Gewichtsklassen Weltmeister, nun hat er in Tokio endlich seinen olympischen Frieden geschlossen – und sich als Dritter wie ein Sieger gefühlt. „Bronze ist das neue Gold“, sagte Stäbler, als er kurz darauf mit freiem Oberkörper im Medienbereich stand und erzählte, wie er die in Weckgläser verpackte Fleischbrühe seiner Mutter am japanischen Zoll und dessen Spürhunden vorbei ins Land geschmuggelt hat. Es war sein Hauptnahrungsmittel, als er Gewicht machen musste. Welche Last von ihm abgefallen ist, wurde deutlich, als er am anderen Ende der Halle Aline Rotter-Focken entdeckte.

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Er sprintete los, fiel seiner besten Freundin um den Hals, beide schluchzten gemeinsam. „Ich möchte, dass er nicht vergisst, dass er eh schon der Größte ist“, hatte die Olympiasiegerin vor Stäblers Duell um Bronze gesagt, „es gibt nichts, was seinen Namen schmälern kann.“ Es fand sich niemand, der widersprochen hätte.

Karla Borger: Verzweifelte Enttäuschung

Die Fragen der Journalisten hielt sie nur mit Mühe aus, ihr verhärmtes Gesicht und ihre traurigen Augen sprachen für sich. Sie wünschte sich in diesem Moment nichts mehr, als an einem anderen Ort zu sein. An einem schönen Strand, in einem vollen Stadion, auf einem Siegerpodest. Stattdessen musste Karla Borger erklären, warum sie mit ihrer Partnerin Julia Sude gerade in der Vorrunde des olympischen Turniers gescheitert war, nach der dritten Niederlage im dritten Spiel, ohne das eigene Potenzial auch nur annähernd abgerufen zu haben. Das alles war zu viel für die ehrgeizige Athletin.

Nach der Fragerunde warf sich die Stuttgarterin Trost suchend an die Brust ihres 2,08 Meter großen Pressesprechers, von dem sie sich minutenlang nicht mehr lösen wollte. Es war eine Geste, die so viel ausdrückte: enttäuschte Hoffnungen, die Arbeit, die umsonst schien, die zu hohe Erwartung, intern wie extern. „An so einem Tag fragt man sich schon, wofür man das alles gemacht hat, die ganzen Entbehrungen über Jahre“, erklärte Borger (32) später, „es fühlt sich miserabel an. So macht Olympia keinen Spaß.“ Ein Abschied auf diese Art aber auch nicht. Weshalb man ihr zurufen möchte: Mach weiter! Bis Paris sind es nur noch drei Jahre.