Im 14. Jahrhundert wurden Millionen Menschen in Europa plötzlich von einer seltsamen, unheilbaren Krankheit heimgesucht – dem Schwarzen Tod. Bisher dachte man, dass vor allem Ratten und Flöhe den Pest-Erreger übertragen. Doch Forscher haben jetzt einen anderen Parasiten als den Hauptüberträger ausgemacht.
Die Pest ist Inbegriff ansteckender, todbringender Krankheiten. Durch das Bakterium Yersenia pestis ausgelöste Pandemien rafften in der Geschichte Millionen Menschen dahin. So starb von 1347 bis 1353 ein Drittel der europäischen Bevölkerung an der Pest. Schätzungen schwanken zwischen 20 und 50 Millionen Toten.
Daneben gab es in der Spätantike, im Mittelalter und in der Neuzeit – vor allem in Kriegszeiten wie im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 – immer wieder regionale Pest-Epidemien – auch in Süddeutschland.
Pediculus humanus corporiss als Überträger von Yersinia pestis
Der Pesterreger Yersinia pestis stammte ursprünglich aus Asien und wurde mehrfach über den Seehandel und die Seidenstraße aus dem Osten nach Europa eingeschleppt. Dort angekommen, wurden Ratten und ihre Flöhe zu den Hauptüberträgern der Seuche – so jedenfalls dachte man bisher.
Doch ein anderer, bisher unterschätzter Parasit war noch sehr viel gefährlicher gewesen: Die Rede ist von Pediculus humanus humanus bzw. corporis – der Kleiderlaus.
Forscher um David Bland vom US National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) in der Stadt Bethesda (US-Bundesstaat Maryland) haben jetzt herausgefunden, dass die blutsaugenden Insekten den Pest-Erreger noch besser als Flöhe übertragen. Ihre Studie ist im Fachmagazin „PLoS Biology“ erschienen.
Verlausung gehörte früher zum Alltag
Das Pest-Bakterium reichert sich im Darm der Läuse an und infiziert ihre Sekretdrüsen, die deren Saugrüssel schmieren. Dementsprechend hoch ist die Zahl der Erreger, die Kleiderläuse übertragen. „Diese Laus ist ein obligater Blutsauger mit dem Menschen als einzigen Wirt“, erklärt David Bland.
Fünf- bis sechsmal am Tag sticht der Parasit die Haut ihres Wirts an und zapft Blut ab. Zwar ist der Befall wegen der besseren Hygienebedingungen heute eher selten, in früheren Zeiten aber gehörte die Verlausung zum Alltag.
Läuse-Experiment bestätigt Verdacht
Für ihre Studie markierten die Forscher Pest-Bakterien mit einem Fluoreszenzfarbstoff und mischten sie mit menschlichem Blut. Dieses Blut saugten Kleiderläuse durch eine hautähnliche Membran auf.
Danach wurden die infizierten Läuse in zwei Gruppen unterteilt. „Wir entschieden uns, zwei Szenarien zu vergleichen, durch die Menschen während eines Pestausbruchs mit infizierten Läusen in Kontakt kommen“, schreiben die Forscher.
- Erstes Szenario: Die Kleiderläuse wechseln unmittelbar nach dem Blutsaugen auf dem Pest-Patienten ihren Wirt. Rund drei Stunden nach ihrer eigenen Infektion erfolgt die nächste Blutmahlzeit an einem noch nicht infizierten Opfer. Im Experiment war dies ein neuer, pestbakterien-freier Blutbehälter.
- Zweites Szenario: Die Läuse verbleiben über längere Zeit in der Kleidung, dem Bettzeug und anderen Brutstätten, bevor sie nach einer Fastenperiode von rund 18 Stunden auf einen neuen Wirt gesetzt werden.
Kleiderläuse erweisen sich als hervorragende Infektionsherde
Das Ergebnis: 33 bis 46 Prozent der Kleiderläuse starben nach ihrer Infektion mit der Pest. Der Rest aber überlebte und entwickelte eine chronische Infektion. „40 bis 60 Prozent dieser Läuse in beiden Gruppen blieben auch eine Woche später noch infiziert“, berichten die Forscher.
Beim Blutsaugen übertrugen diese Läuse während der gesamten Zeit mittlere bis hohe Dosen der Pest-Erreger auf die Blutreservoire der simulierten Wirte. „Rund 20 Stunden nach ihrer Infektion hatten die Läuse den Erreger auf 100 Prozent der Reservoire übertragen.“ Die Menge der Pest-Bakterien war in beiden Gruppen mehr als ausreichend, um eine Infektion zu bewirken.
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Kleiderläuse bessere Übertrager von Pestbakterien sind als man zuvor dachte“, resümiert das Expertenteam. „Dies stützt die Hypothese, nach der diese Läuse als Vektoren an früheren Pestausbrüchen beteiligt waren.“
Infektion erfolgt über Drüsensekret und Speichel
Noch ein weiterer Faktor kommt hinzu: Kleiderläusen fehlen wichtige Immungene, um eine Infektion mit Bakterien wie Yersinia pestis abzuwehren. Infolgedessen infizieren sie sich leichter und begünstigen die Vermehrung des Erregers in ihrem Körper.
„Der Menschenfloh Pulex irritans war zwar während der mittelalterlichen Pest-Epidemie in den Haushalten weit verbreitet“, schreiben die Forscher. „Aber wir haben die Vektor-Kompetenz des Menschenflohs noch einmal näher untersucht. Und ihn als eher schlechten Überträger der Pestbakterien eingestuft.“
Fazit: Die Forscher fanden heraus, dass Kleiderläuse die Pest nicht nur besser übertragen als gedacht. Sie bewerkstelligen dies auch auf gleich mehreren Wegen. Die Pest-Bakterien gelangen sowohl über das Drüsensekret als auch über den Speichel und den Kot der Läuse auf und in ihren menschlichen Wirt.
Info: Kleine Geschichte der Pest
Pest-Epidemien
Historiker unterscheiden drei große weltweite Pest-Pandemien:
• Die Justinianische Pest mit der ersten Welle in den Jahren 541 bis 544, auf die bis Mitte des 8. Jahrhunderts mehr als ein Dutzend weitere Wellen in Europa und im Mittelmeerraum folgten.
• Der Schwarze Tod, der Europa, Vorderasien und Nordafrika im 14. Jahrhundert von 1347 bis 1353 heimsuchte.
• Dritte Pandemie, die ab Ende des 19. Jahrhunderts in Süd- und Ostasien wütete und sich auch nach Madagaskar und Lateinamerika ausbreitete.
• Auch in den Jahrhunderten danach flackerten immer wieder Pest-Epidemien auf, die allerdings deutlich glimpflicher verliefen, weil die Menschen sich an den Erreger gewöhnt hatten und lernten, die Gefahr zu meistern. Besonders betroffen aber waren fast immer Hafenstädte und Ballungsgebiete.
Opfer
Die Bevölkerungsverluste durch die großen Pestepidemien im 14. und 15. Jahrhundert führen auch in Süddeutschland zu verheerenden Verlusten. So wurde die Bevölkerung in Württemberg und der Pfalz bis zu 50 Prozent dezimiert. In Bayern, Schwaben und Franken starben zwischen 30 und 50 Prozent der Bewohner.
Seuchen
Doch war es wirklich immer die durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöste Infektionskrankheit? Im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit grassierte mehr als eine Seuche. Ruhr, Infektionen der Atmungsorgane, Tuberkulose, Typhus, Grippe, Masern, Pocken, Cholera, Lepra und Antoniusfeuer (Vergiftung durch Verzehr des Mutterkornpilzes im Getreide – auch Ergotismus genannt): Eine Epidemie folgte über Jahrhunderte in Europa der nächsten. Um welchen Erreger es sich konkret handelte, lässt sich heute – auch aufgrund der oft mageren Quellenlage – kaum noch rekonstruieren.
Dreißigjähriger Krieg
Vor allem in Kriegszeiten wie während des Dreißigjährigen Krieges 1618 bis 1648 wüteten Pest und Fleckfieber – auch Kriegspest genannt. Erreger der durch Läuse und Flöhe übertragenen Infektion sind Bakterien der Gattung Ricketttsien. So hatte Nürnberg um 1620 rund 50 000 Einwohner. Zwischen 1632 und 1634 starben davon rund 25 000 Menschen an Seuchen, die allermeisten an der Pest. 1633 bis 1635 gehören zu den schlimmsten Pestjahren in der deutschen Geschichte. So starben nach der Schlacht von Nördlingen im August 1643 Tausende an der Pest.
Napoleons Grande Armee
Auch Napoleons Armeen wurden von Infektionskrankheiten genauso dezimiert wie durch feindliche Heere. „Von den 500 000 Mann, die ausgezogen sind, der Grande Armee von Napoleon, sind bei dem Rückzug aus Moskau nach Belagerung und dem Brand Moskaus ungefähr 80 000 übrig“, erklärt der Hans-Peter Kröner, Medizinhistoriker an der Universität Münster. „Man darf annehmen, dass ein Großteil dieser Opfer von Epidemien, großteils von Fleckfieber gewesen sind.“