Die US-Truppen schützten den Abzug der westlichen Truppen aus Kabul. Als sie weg waren, zeigte sich die Schwäche der Europäischen Union. Foto: dpa/Senior Airman Brennen Lege

Europa soll ein neues sicherheitspolitisches Konzept bekommen. Der erste Entwurf liegt nun vor und sieht den Aufbau einer schlagkräftigen militärischen Eingreiftruppe vor.

Brüssel - Der militärische Abzug aus Afghanistan bleibt für die Europäer ein Trauma. Nicht nur, weil er den Sinn der gesamten Mission am Hindukusch in Frage stellt. Fast schon demütigend erscheint, dass ihre Einheiten nicht einmal in der Lage waren, nach dem Abzug der US-Truppen den Flughafen in Kabul für die eigenen Rettungsflüge zu schützen. Auch damit sich solche Szenarien nicht wiederholen, plant die Europäische Union den Aufbau einer militärischen Eingreiftruppe. Sie könnte bereits im kommenden Jahr beschlossen werden und aus bis zu 5000 Soldaten bestehen. Je nach Bedarf sollen darunter neben Bodentruppen auch Luft- und Seestreitkräfte sein.

Neues Krisenmanagement der EU

Die geplante Eingreiftruppe ist allerdings nur ein Teil des neuen sicherheitspolitischen Konzeptes der Europäischen Union, das der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch der EU-Kommission präsentierte. Kommende Woche soll es dann bei einem gemeinsamen Treffen der Außen- und Verteidigungsminister der EU-Staaten diskutiert werden. Das Konzept wird auch als „strategischer Kompass“ bezeichnet und soll unter anderem festlegen, welche Fähigkeiten die EU künftig im Bereich des Krisenmanagements haben muss. Die EU müsse künftig deutlich mehr als eine „soft power“ sein, kommentierte Borrell. Dazu sollen auch Weltraum- und Cyberfähigkeiten sowie Spezialeinsatzkräfte zählen. Das sind etwa auch Einheiten, die einen Kampfeinsatz erst möglich machen, die sogenannten strategischen Enabler (Ermöglicher). Die Aufklärung, der Lufttransport und die Rettungseinsätze im Gefecht sind technisch hoch anspruchsvoll und entsprechend teuer.

Mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit

Die Staats- und Regierungschefs der Union hatten bereits bei einem Gipfel im Frühjahr erklärt, dass die EU „mehr Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen“ und ihre Möglichkeiten ausbauen müsse, „autonom zu handeln“. Betont wurde allerdings auch, dass es keine Doppelstrukturen zur Nato geben solle und man eng mit dem westlichen Verteidigungsbündnis und den USA kooperieren werde. Grundlage war eine damals gerade abgeschlossene neue Bedrohungsanalyse der Nachrichtendienste. In dem Dokument wurde beschrieben, welche Gefahren von Ländern wie Russland und China ausgehen könnten.

Nicht geklärt ist allerdings noch immer die Frage, wie weit die EU ihre Verteidigungspolitik selbst gestalten will. Frankreich setzt sich dafür ein, langfristig vollkommen unabhängig etwa von den USA zu werden. Deutschland und vor allem die Staaten Osteuropas wollen allerdings weiter eine enge Zusammenarbeit mit Washington.

Die Messlatte ist der Abzug aus Kabul

So gesehen ist die nun geplante EU-Eingreiftruppe eine Art Kompromiss. Und wieder ist eine der Messlatten das militärische Desaster während der letzten Tage in Afghanistan. Die neue Einheit soll ausdrücklich so stark sein, dass sie eine schnelle Evakuierung von Menschen aus einem Krisengebiet oder auch einen Einsatz wie den der Amerikaner zur Sicherung des Flughafens in Kabul übernehmen könnte. Konkret gehe es darum, unterschiedliche miteinander kombinierbare „Module“ zu haben, erklärte der EU-Außenbeauftragte Borrell. Dabei will er auf bestehende Strukturen zurückgreifen und die bereits existierenden EU-Battlegroups zu schlagkräftigen und kurzfristig einsetzbaren Krisenreaktionskräften weiterentwickeln.

Das bisherige EU-Battlegroup-Konzept sieht vor, dass ständig zwei Einheiten mit im Kern jeweils rund 1500 Soldaten bereitgehalten werden, die alle sechs Monate wechselnd von unterschiedlichen EU-Staaten zur Verfügung gestellt werden. Zuletzt hatte es allerdings immer wieder Probleme gegeben, genügend Truppen zusammenzubekommen. So gibt es derzeit beispielsweise nur eine Battlegroup. Zum Einsatz kamen die EU-Kräfte noch nie.

Ein Schlüsselprojekt der Union

Die scheidende deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnete den „strategischen Kompass“ am Mittwoch als ein „Schlüsselprojekt“, das auf eine deutsche Initiative zurückgehe. „Ich bin sehr stolz darauf, dass das Verteidigungsressort diesen Prozess maßgeblich mitgestaltet hat“, kommentierte die CDU-Politikerin. Mit Spannung blicken die Partner der EU und auch die Verbündeten der Nato allerdings auf die Regierungsbildung in Berlin. Kramp-Karrenbauer versuchte mögliche Bedenken zu zerstreuen. Sie sei sicher, dass die neue Bundesregierung die Pläne für den neuen „strategischen Kompass“ der EU unterstützen werde.