Museumsleiterin Barbara Willert im Ausstellungsraum von Şakir Gökçebağ Foto: Eibner-Pressefoto/Roger Bürke

Orientalische und westeuropäische Kunst begegnen sich in den Wandobjekten des Hamburger Künstlers Şakir Gökçebağ in der Schau „Twists & Turns“. Mit viel Witz und Raffinesse hat er sie aus Alltagsobjekten geschaffen. „Tutto bene“ gilt im Obergeschoss der gleichnamigen Ausstellung im Museum Ritter: Hier kann man abstrakte, geometrische Kunst aus Italien erleben.

Bei Marcel Duchamp war es ein Urinal, das er 1917 zum Kunstwerk erklärte, hier sind es Kleiderbügel, Gartenschläuche oder Schuhbürsten. Wie Duchamp oder der Nouveau Réalisme Anfang der 60er bedient sich Şakir Gökçebağ der massenproduzierten Waren. Er rückt sie aber nicht nur in einen neuen Kontext, sondern zerschneidet sie auch und arrangiert sie verblüffend in Neukompositionen zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit: Da mutiert ein Gummistiefel zu einer Spinne, schwarze Regenschirme mit herabhängenden Stoffstreifen verwandeln sich in eine Schwarzwaldkulisse und Klopapierrollen bilden eine elegante Wandbespannung. Buchstäblich einen „Times Square“ entwirft Gökçebağ, indem er acht Uhren zu einem Quadrat anordnet.

Zerschnittene Kleiderbügel ähneln arabischen Schriftzügen

In Ringe zerschnittene Teppiche machen eine „Reorientation“ durch. Mit der Begegnung von Orient und Okzident spielt Şakir Gökçebağ auch, wenn er Schuhbürsten orientalisch-ornamental zu Rauten anordnet oder zerschnittene Kleiderbügel in beschwingten Linien arrangiert, sodass sie arabischen Schriftzügen zu ähneln beginnen. Die Alltagsgegenstände erfahren eine Aufwertung, behalten aber zugleich ihre Identität. Ergeben sich bereits in dieser Ausstellung vibrierende Raster wie zum Beispiel in der Arbeit „Der goldene Schnitt“ mit zahllosen Gartenschlauch-Stücken, so wird im Obergeschoss die Bewegung dann vollends zum dominierenden Thema. Insofern passen die beiden Ausstellungen gut zueinander. Viele Besucher sind zum Auftakt gekommen, und die Sammlerin Marli Hoppe-Ritter sagt: „Wir sind froh, dass wir das erste Mal seit zwei Jahren wieder eine große Eröffnung machen können.“

Ausgangspunkt ist der Futurismus, der ab 1909 aufkam: Die italienische Avantgarde war von Geschwindigkeit und Maschinen fasziniert, zeigte Dynamik und simultane Bewegungsabläufe und beeinflusste dann auch nachhaltig Stilrichtungen wie die Op-Art. Fast noch aus dem Zeitalter der Futuristen stammt Fortunatos Deperos „Costume per locomotiva“ von 1923: Die laufende Figur ist aus Buchstaben und abstrakten Elementen einer Lokomotive zusammengesetzt. In den 30ern entstanden Atanasio Soldatis bunte Ölbilder, die mit den Raumwirkungen von Farben und Formen spielen. Sie sind wie auch die vielfarbigen Kompositionen Piero Dorazios der d’arte concreta zuzurechnen. Ihre Vertreter komponierten frei und in zeichenhafter Weise Formelemente.

Vorrangig um Vibration und Bewegung ging es der Arte programmata: Grazia Varisco etwa, eine der wenigen Künstlerinnen im italienischen Männerbund, versetzte Anfang der 60er Raster in Kästen von Leuchtröhren erhellt in irisierende Bewegung. Mit einem Motor ausgestattet ist auch Gabriele Devecchis Arbeit aus Naturkautschuk „Superficie in vibrazione A 7“, in der sich Nadeln fein bewegen.

Es gab die Gruppo T in Mailand, der die beiden angehörten, die Gruppo N in Padua und die Gruppo Azimut in Mailand – die Künstlergruppen und auch internationalen Verflechtungen, die sich in den 50ern und 60ern bildeten, sind mannigfaltig, und die Ausstellung vermag sie nicht erschöpfend zu zeigen. Dennoch gelingt es ihr immer wieder, Schlaglichter auf spannende Positionen in dieser Zeit zu richten oder auch die Entwicklung der Künstler in späterer Zeit nachzuvollziehen. Alberto Biasi mit bewegten Bildern aus Holzrastern gehörte zur Gruppo N und wird wie Getulio Alivani mit seinen spiegelnden Aluminiumstrukturen der Op-Art zugerechnet. Enrico Castellani mit seinen reliefhaften Bildern stand einst der Gruppo Azimut und der deutschen Gruppe Zero nahe, die lichtkinetische Objekte erzeugte.

Hier streng schwarz und weiß, dort verspielte Wortbilder

Zwei Schwerpunkte der Schau widmen sich auch Marcello Morandini, von dem Arbeiten von 1966 bis 2017 vertreten sind, und Alighiero Boettis Konzeptkunst. Streng auf Schwarz und Weiß reduziert erzeugen bei Morandini ausgeklügelt angeordnete geometrische Formen verblüffende Schwingungen. Verspielte Wortbilder sind dagegen die Domäne des Konzeptkünstlers Alighiero Boetti. In Quadrate eingepasst erscheinen hier Buchstaben als geometrische Formen, die zusammengesetzt italienische Sprichwörter ergeben.

Zu diesen passen die humorvollen Exponate Corrado Bonomis: Er hat 2006 einen Mondrian in Transparentpapier verpackt, wobei nun Geschenkband die typischen schwarzen Trennlinien bildet, die natürlich eine Schleife ziert. Das jüngste Exponat von 2022 ist Amanda Chiaruccis „L’essenzo dell universo“, das aus Origamifaltungen besteht und dem Begründer der fraktalen Geometrie, Benoît Mandelbrot, gewidmet ist.

Die Ausstellungen im Museum Ritter in Waldenbuch laufen bis 16. April – geöffnet ist dienstags bis sonntags sowie feiertags von 11 bis 18 Uhr. Mehr Infos unter www.museum-ritter.de.