900 Menschen sollen in Häugern-Nord einmal wohnen. Naturschutzverbände sehen hier aber die Interessen des Naturschutzes nicht ausreichend vertreten. Foto: Jürgen Bach

Der BUND kündigt rechtliche Schritte gegen den Fortschritt des Weiler Neubaugebiets Häugern-Nord an. Grund ist auch ein neues Gesetz zum Schutz von Streuobstflächen.

Priorisiert man den Naturschutz oder lindert man den Druck auf dem Wohnungsmarkt? Problemlos vereinen lassen sich diese beiden Zielsetzungen oft nicht – besonders dann, wenn die Bagger auf der grünen Wiese anrollen sollen. So melden sich die Naturschützer in Weil der Stadt seit jeher zu Wort, wenn es um das geplante Neubaugebiet Häugern-Nord nahe der Kernstadt geht. Auch die hiesigen Grünen-Mitglieder bringen wegen Sorgen um den Artenschutz und besonders die Gefährdung des nahen Merklinger Rieds ihre Unzufriedenheit über das Neubaugebiet immer wieder zum Ausdruck: mit Protestaktionen wie 2020 oder Enthaltung im Gemeinderat.

Der Stadtverwaltung könnte dieser Protest bald ordentlich Steine in den Weg legen: Der Regionalverband Region Stuttgart des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz) hat rechtlichen Widerstand angekündigt, sollte man in Weil der Stadt in Sachen Häugern weiter voranschreiten. Noch ausstehend ist der Beschluss des Gemeinderats zum finalen Bebauungsplan.

Häugern-Nord ist „Hotspot des Artenschutzes“

Als „einen der größten Eingriffe in die schützenswerte Gäu-Landschaft“, die er in seiner 30-jährigen Berufserfahrung beim BUND erlebt hat, bezeichnet Regionalverbandsleiter Gerhard Pfeifer das Bauvorhaben in Weil der Stadt. Lang ist die Liste der Kritikpunkte, die der Verband mit der Ankündigung der möglichen Klage veröffentlicht. Verfahrensfehler und abgelaufene Artenschutzgutachten werden der Verwaltung darin vorgeworfen, ebenso wie das – trotz seitens der Stadt geplanter Gegenmaßnahmen – gefährdete Merklinger Ried, ein unzulässiger Eingriff in alte Streuobstwiesenbestände und die Bedrohung streng geschützter Tiere. „Wir haben in Häugern-Nord einen Hotspot des Artenschutzes“, so Pfeifer, nennt Amphibien, Insekten, Vögel, Käfer und Fledermäuse.

Auf den Weg gebracht wurde das Neubaugebiet vom Gemeinderat im Jahr 2017, der Vorentwurf stand 2019. Die Frage, warum der BUND erst jetzt konkret mit einer Klage droht, beantwortet Pfeifer mit Verweis auf eine veränderte Gesetzeslage. 2020 trat eine Gesetzesnovelle des Landes zur Stärkung der Biodiversität in Kraft, hervorgegangen aus dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Laut des neuen Naturschutzgesetzes, Paragraf 33a, dürfen Streuobstwiesenbestände ab einer Größe von 1500 Quadratmetern nur dann umgewandelt werden, wenn „die Erhaltung des Streuobstbestandes nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt“. Auf der rund zehn Hektar großen Fläche (100 000 Quadratmeter) von Häugern-Nord stehen laut BUND 300 Obstbäume.

Stadtverwaltung geht von rechtssicherer Planung aus

Die Umwandlung von Streuobstwiesen ist laut Naturschutzgesetz Abwägungssache, zwischen dem Interesse am Erhalt der Natur und dem Interesse am Schaffen von mehr Wohnraum. Eine Genehmigung aussprechen würde am Ende die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamts. Für Pfeifer ist die Gewichtung klar, auch wenn er den Ausgang der Sache nicht abschätzen kann. „Aber beim Thema Streuobst bin ich zuversichtlich.“

Vergangenes Jahr haben Naturschutzverbände in einem ähnlichen Fall die für ein geplantes Baugebiet in Gäufelden notwendige Rodung stoppen können. Die Streuobstflächen wurden aus dem Bebauungsplan gestrichen, nachdem das Landratsamt angekündigt hatte, die Genehmigung nicht zu erteilen. Nicht erfolgreich war der Naturschutzbund (Nabu) unterdes in Großbettlingen im Kreis Esslingen: Erst im Januar lehnte das Stuttgarter Verwaltungsgericht einen Widerspruch gegen die Rodung dreier Streuobstwiesen ab, die nun für ein Gewerbegebiet weichen müssen.

Die angekündigten rechtlichen Schritte durch den BUND kommentiert die Stadtverwaltung Weil der Stadt selbst bisher nur kurz und knapp: „Die für das B-Plan-Verfahren relevanten Punkte der Stellungnahme des BUND werden im Rahmen des bevorstehenden Satzungsbeschlusses im Gemeinderat öffentlich behandelt“, teilt der Erste Beigeordneter Jürgen Katz auf Anfrage unserer Zeitung mit. Aufgrund der Aussage des BUND, das Verfahren rechtlich überprüfen lassen zu wollen, werde die Stadtverwaltung außerhalb des Verfahrens keine Stellungnahmen abgeben. „Allerdings gehen wir davon aus, dass wir einen rechtssicheren Bebauungsplan aufstellen werden.“

Mahnwache vor dem Landratsamt geplant

Unter anderem, weil man die Ziele in Sachen Streuobstwiesenschutz durch die Untere Naturschutzbehörde nicht umgesetzt sieht, plant das „Aktionsbündnis Naturschutz im Kreis Böblingen“ nun eine Mahnwache. Am Donnerstag, 2. März, 17.15 Uhr, will man sich vor dem Landratsamt versammeln. Die Behörde kümmere sich in vielen Fällen nicht ausreichend um die Schutzwürdigkeit von gefährdeten Arten und den Erhalt von geschütztem Streuobstbestand, heißt es in einer Presseerklärung.

Ein angeblich ähnliches Vorgehen der Naturschutzbehörde prangert unterdes auch der Nabu Weil der Stadt an: Im Ortsteil Hausen seien gerade noch Zauneidechsen – eine gefährdete Art – für die Erweiterung des Krannich-Firmengeländes umgesiedelt worden, als Teile des neuen Habitats schon für den Bau eines Regenüberlaufbeckens zerstört worden seien. Die „kurzfristig beschlossene, höchst fragwürdige Maßnahme“ sei mit der ausdrücklichen Genehmigung der zuständigen Naturschutzbehörde erfolgt, so der Nabu.