Der Hollywoodfilm „She said“ nimmt sich der Vorfälle der Metoo-Debatte an und ist gleichzeitig ein Statement für die Solidarität von Männern und Frauen. Und eine Hommage an den Investigativjournalismus. Lohnt sich ein Kinobesuch?
Manhattan, New York. Ein eleganter Hotelflur mit dicken Teppichen und edlen Wandleuchten, dicht nebeneinander liegen die Zimmertüren mit ihren blanken Messingklinken. Dahinter entspannen Geschäftsleute und betuchte Touristen. Wer will sich schon ausmalen, dass sich in einem Fünf-Sterne-Haus wie dem Peninsula auch sehr diskret furchtbare Szenen abspielen können?
„Komm, setz dich zu mir, nur fünf Minuten!“, bettelt eine männliche Stimme. „Ich möchte das nicht, ich fühle mich unwohl“, antwortet ihm eine Frau, ihre Angst ist deutlich zu hören. „Jetzt blamier mich nicht, man kennt mich in diesem Hotel! Ich bin ein berühmter Mann. Setz dich, ich verspreche, ich tue dir nichts“, entgegnet der Mann unverhohlen ärgerlich, halb bittend, halb drohend.
Ohne die Journalistinnen wäre das System Weinstein vermutlich weitergelaufen
Der Dialog geht ein paar quälende Minuten so weiter, man möchte den Typen am Kragen aus der Suite ziehen, weg von der Frau, die niemanden hat, der ihr hilft.
Es ist eine der beklemmendsten Szenen aus dem Film „She said“, den die deutsche Schauspielerin und Regisseurin Maria Schrader in Hollywood gedreht hat. Der Titel ist eine Abwandlung der englischen Wendung „He said – She said“ – „Aussage gegen Aussage“.
Schraders Debüt in der Traumfabrik handelt vom realen Albtraum vieler Frauen, die für den Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein gearbeitet haben und sich lange nicht trauten, gegen dessen Belästigungen vorzugehen, aus Angst, man könnte ihnen nicht glauben. Ohne die monatelangen Recherchen der „New York Times“-Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey hätte die Öffentlichkeit vielleicht nie von den Übergriffen erfahren, wäre das System Weinstein wahrscheinlich weiterhin ignoriert und toleriert worden.
Fast zufällig werden Jodi Kantor (Zoe Kazan) und Megan Twohey (Carey Mulligan) 2016 auf die Vorwürfe gegen den Starproduzenten von Filmen wie „Shakespeare in Love“ und „Pulp Fiction“ aufmerksam, erzählt Maria Schrader. Twohey recherchiert zu Anschuldigungen gegen den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, der unter anderem von Miss-Wahl-Teilnehmerinnen Küsse erzwungen haben soll.
Die Arbeit an der Story wird durch die Geburt von Twoheys Tochter und daran anschließenden postpartalen Depressionen unterbrochen. Weil Twohey jedoch Erfahrungen hat im Umgang mit Opfern sexueller Belästigung, bittet Jodi Kantor ihre Kollegin um Mithilfe bei ihren Recherchen zu Harvey Weinstein, der unter anderem von der Schauspielerin Rose McGowan der Belästigung beschuldigt wird. Ermutigt von der leitenden Redakteurin Rebecca Corbett (Patricia Clarkson) und dem Chefredakteur Dean Baquet (Andre Braugher) versuchen Twohey und Kantor, weitere Zeuginnen für Weinsteins Übergriffe zu finden.
Frauen sind keine hilflosen Opfer, Männer werden nicht verteufelt
Nachvollziehbar und sachlich arbeitet Maria Schrader am Beispiel der beiden Journalistinnen die unterschiedlichen Voraussetzungen von Männern und Frauen im Alltag heraus, erzählt etwa von den Problemen, die eine Geburt und Mutterschaft für Frauen mit sich bringen, die es bisher gewohnt waren, sich wie ihre männlichen Kollegen im Job zu bewegen. Frauenfeindliche Gewalt ist alltäglich und kann jede Frau unabhängig von einem besonderen Umfeld treffen; in einer Szene werden Twohey, Kantor und Corbett beim Gespräch in einer Bar von einem Mann sexistisch beleidigt, nachdem dieser von den Journalistinnen freundlich, aber bestimmt abgewiesen worden war.
Schrader beleuchtet auch die intakten Paarbeziehungen der Journalistinnen, deren Männer in der Zeit der Weinstein-Recherchen einen Großteil der Erziehungsarbeit leisten. „She said“ ist also kein Film, der Männer verteufelt und Frauen bloß als hilflose Opfer zeigt. Twohey und Kantor gaben den Weinstein-Opfern eine Stimme und damit die Möglichkeit, sich aktiv zu wehren. In ihrer Arbeit wurden sie aber auch aktiv von Männern unterstützt; ein solidarisches System jenseits der Geschlechtergrenzen, das Maria Schrader der menschenverachtenden Praxis im Weinstein-Kosmos entgegenstellt. Dem Täter bietet der Film indes keine Bühne, er bleibt als Person ausgespart und ist nur als Stimme aus dem Telefon oder indirekt in den erschütternden Schilderungen der Frauen präsent. Umso intensiver beschreibt Maria Schrader das mühsame, akribische Ringen der Journalistinnen um die korrekte Darstellung der Sachverhalte und erweist damit der Presse als vierter Gewalt Respekt.
Somit ist „She said“ nicht bloß eine filmische Nachstellung längst bekannter Abläufe, sondern eine Hommage an den Investigativjournalismus und an die Reporterinnen, die sich auch von massiven Drohungen nicht von ihrem Vorhaben abbringen ließen, Weinstein das Handwerk zu legen.
She said: USA 2022. Regie: Maria Schrader. Mit Carey Mulligan, Zoe Kazan. 129 Minuten. Ab 12 Jahren.
Nach wahren Begebenheiten
Der Fall
Die Recherchen der „New York Times“ lösten eine Debatte über Machtmissbrauch im Showgeschäft aus und brachten die #Metoo-Bewegung ins Rollen. Auch in Deutschland wird seitdem mehr über Sexismus in Kulturbetrieben gesprochen. Harvey Weinstein sitzt derzeit als verurteilter Sexualstraftäter in Haft. Aktuell muss sich der 70-Jährige wegen weiterer Vorwürfe vor Gericht verantworten. Das Geschworenenurteil steht noch aus.
Die Regisseurin
Maria Schrader, Jahrgang 1965, hat zuletzt mit der Serie „Unorthodox“ (2020) international Aufsehen erregt. Für die Netflix-Produktion wurde sie mit einem Emmy ausgezeichnet – als erste deutsche Regisseurin überhaupt. Als Schauspielerin feierte sie etwa Erfolge in der lesbischen Romanze „Aimée und Jaguar“ und in der Serie „Deutschland 83“.