Der Schein trügt: aus dem Western wird ein Science-Fiction-Film Foto: I//Universal

Jordan Peele, der Senkrechtstarter unter den Hollywoodregisseuren, bringt nun den so seltsamen wie schönen Film „Nope“ in die Kinos.

„Get out“ und „Us“ – gerade einmal zwei Filme hat Jordan Peele gedreht und sich als einer der interessantesten Autorenfilmer Hollywoods bewiesen, der das Genre des Horrorfilms kongenial mit Gesellschaftsanalyse und psychologischem Tiefgang aufschäumte. In seinem neuen Film „Nope“ wagt er sich nun noch weiter vor und verbindet Elemente des Westerns, Mystery- und Science-Fiction-Kinos zu einer ungeheuer interessanten, cineastischen Melange.

Im Zentrum steht ein Geschwisterpaar, das nach dem Tod des Vaters die Pferderanch übernimmt. Schon seit den frühesten Jahren des Kinos trainieren die Haywoods Pferde für Filmproduktionen in Hollywood. Seit mehreren Generation ist das Familienunternehmen in afroamerikanischer Hand. Aber die Geschäfte laufen schlecht. Statt der unberechenbaren Tiere werden zunehmend Replikate verwendet.

Ein Raumschiff auf der Koppel

Als nachts eines der Pferde ausbricht und auf mysteriöse Weise im nächtlichen Himmel verschwindet, wird OJ (Daniel Kaluuya) auf eine Wolke aufmerksam, die schon seit Tagen unbewegt über dem Horizont verharrt. Sie dient offensichtlich als Tarnung für ein außerirdisches Raumschiff, das Menschen, Tiere und auch mal einen ganzen Vergnügungspark in sich aufsaugt. OJs Schwester Emerald (Keke Palmer) sieht in dem Ufo jedoch nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine Geschäftsidee.

Wenn es ihnen gelänge, die ersten Filmaufnahmen von dem Raumschiff zu machen und diese an die „Oprah Winfrey Show“ zu verkaufen, wäre zumindest das finanzielle Überleben der Farm gesichert. Aber die außerirdischen Eindringlinge lassen sich digital nicht abbilden. Und so wird der Old-School-Dokumentarist Antlers Holst (Michael Wincott) engagiert, der mit handbetriebenen Kameras und echtem Filmmaterial den Aliens zu Leibe rückt.

Ständig unerwartete Wendungen

„Nope“ ist ein im besten Sinne unberechenbarer Film. Das betrifft nicht allein den Plot, der vollkommen entspannt interessante Nebenschauplätze eröffnet, zu unerwarteten Wendungen kommt und einen ureigenen Flow findet. Ohne aufdringliches Innovationsgehampel gelingt es Peele, auch auf der visuellen Ebene zu überraschen. Zu Anfang glaubt man sich in der vertrauten Westernlandschaft gut aufgehoben, bis geradezu organisch außerirdische Phänomene die traditionsreiche Naturkulisse verfremden. Der Kameramann Hoyte Van Hoytema („Tenet“) schafft echte Kinobilder von poetischer Kraft und verstörender Schönheit, ohne die intime Nähe zu den Figuren zu verlieren.

Der Oscar-Preisträger Daniel Kaluuya („Judas and the Black Messiah“) überzeugt als wortkarger, schwarzer Cowboy erneut mit seiner magnetischen Leinwandpräsenz. Ihm gegenüber entfaltet die fabelhafte Keke Palmer als hibbelige Schwester kontrastreich ihre Energiebündel-Qualitäten. Mit seinem kohärenten Fluss aus intensiven Actionszenen und kontemplativen Ruhezonen funktioniert „Nope“ auf der großen Leinwand bestens als spannendes Unterhaltungsprodukt. Gleichzeitig eröffnet Peele auch hier wieder Assoziations- und Resonanzräume, in denen US-Filmgeschichte, afroamerikanische Identität, menschliche Urängste, die Gewalt visueller Darstellung oder der Zynismus des Showgeschäfts reflektiert werden. Vor allem aber ist „Nope“ ein Film, der sich nicht um Erwartungen schert, sondern sich zum Seltsamen bekennt – und darin seine ganz eigene Schönheit findet.

Nope. Regie: Jordan Peele. Mit Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Michael Wincott. 130 Minuten, ab 12 Jahre