Boris Becker ist wieder in Deutschland unterwegs, mal als Werbefigur, mal als TV-Kommentator. Foto: dpa/Frank Augstein

Der sechsmalige Grand-Slam-Champion wurde am 29. April 2022 in London zu einer Haftstrafe verurteilt. Ein Jahr später lebt der ehemalige Tennisprofi wieder in Deutschland. Er beherrscht weiterhin die Boulevardmedien.

Ein Jahr nach seiner Verurteilung am Londoner Southwark Crown Court ist der sechsmalige Grand-Slam-Champion Boris Becker wieder zuverlässig in den Schlagzeilen, nur nicht zwingend als jedermanns Liebling. Mit dem steil aufgestiegenen und tief gefallenen Centre-Court-Heros lässt sich noch immer Auflage machen.

Geht es nach dem Boulevard, hat Becker gerade fast mit allen früheren Ehefrauen oder Partnerinnen mehr oder minder großen Streit. Nur und ab zu dringen andere Geschichten um den inzwischen 55-jährigen Tennisprofi im Ruhestand durch, etwa die Bewertung einer frischen zweiteiligen Dokumentation „Boom! Boom! The World vs. Boris Becker“, die allerdings im Wesentlichen schon abgedreht war, bevor Becker am 29. April 2022 zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde.

Becker will nun „die richtigen Entscheidungen treffen“

Um für den Zweiteiler bei Apple TV zu werben, hat er unlängst einen Halbmarathon durch die internationale Medienszenerie unternommen. Der Tenor ist wohlbekannt gewesen: Natürlich habe er Fehler gemacht, aber wer mache keine Fehler. Natürlich gebe es Kritiker in Deutschland, aber schon immer sei er in Deutschland kritisiert worden, ob für sportliche Fehlschläge oder auch seinen Frauengeschmack. Das Spiel aber, das große Spiel seines Lebens, sei noch nicht vorbei. Denn geläutert wolle er nun in den letzten Satz gehen, es gelte nun, „etwas zu bewirken“. Die Lehren aus seiner Gefängniszeit sollten helfen, „die richtigen Entscheidungen zu treffen“.

Hört man sich bei langjährigen Weggefährten, Freunden und Bekannten um, fällt auf, wie sehr sie hoffen, dass Becker durch die rund acht Monate in zwei britischen Haftanstalten demütiger geworden sei. Und wie sehr sie befürchten, dass der jüngste Wimbledon-Sieger aller Zeiten doch nur weitermacht, wo er vor seiner Verurteilung aufhören musste.

Befeuert wird die allgemeine Ungewissheit einmal mehr durch Schmonzetten in der„Bild“-Zeitung, mit der Becker seit jeher eine bizarre Fahrstuhlbeziehung unterhält – mit dem Blatt und seinen Machern ging es für den Leimener durch alle Lebensabschnitte regelmäßig auf und nieder. Im Moment schweigt Becker, und diese Lücke wird durch allerhand Spekulatives gefüllt, durch scheinbare Aufreger und vermeintliche Sensationen. Zuletzt ging es allerdings auch mal um die Frage, ob Becker wieder daheim in Leimen bei seiner 87-jährigen Mutter eingezogen sei (was Becker dann dementierte).

In Stuttgart sorgte ein Restaurantbesuch für Schlagzeilen

Hinter dieser süffisanten Diskussion steckt allerdings ein für Becker trauriger Tatbestand: Denn was er in seinem Leben nach der Tenniskarriere um fast jeden Preis verhindern wollte, war ein Leben in Deutschland. Eine fürsorgliche Beobachtung durch seine Mitbürger und Mitbürgerinnen wie zuletzt in Stuttgart, wo er mit seiner Freundin Lilian de Carvalho Monteiro fein beim Italiener diniert hatte – und danach den üppigen Kassenzettel in einschlägigen Medien vorgerechnet bekam.

Becker hatte sich in London wohlig eingerichtet, die Briten mochten ihn, er mochte die Briten. Und zwar vor allem, weil er inmitten des Auflaufs an Prominenz weitgehend in Ruhe gelassen wurde. Zu dumm nur, dass er irgendwann den klaren Blick über seine finanziellen Verhältnisse verlor oder seine Möglichkeiten und Grenzen schlicht nicht wahrhaben wollte. Das Desaster mit einem millionenschweren Schuldenberg endete schließlich vor der Ehrenwerten Richterin Deborah Taylor.

Ein Zurück in seine zweite Heimat wird es vorerst nicht geben

Zwar verbüßte Becker nur einen Bruchteil seiner Haftstrafe, weil die Behörden daran interessiert sind, dass ausländische Gefängnisinsassen in gewissen minderschweren Fällen die überfüllten Anstalten nicht zu lange belegen. Aber die schnelle Abschiebung bedeutete auch: Ein Zurück nach London, in seine zweite Heimat, wird es vorerst nicht geben. Wie lange nun ein Einreiseverbot für Becker auf die Insel gilt, darüber wird in juristischen Kreisen seit seiner Freilassung vor Weihnachten 2022 diskutiert.

Wie sich Becker seine Zukunft vorstellt, bleibt wie vieles andere im Ungefähren. Er stelle fest, nach seinen jüngsten Erfahrungen „reifer, verständnisvoller und fürsorglicher“ geworden zu sein, sagt er, „außerdem hoffe ich, ein wenig klüger zu sein, dieselben Fehler nicht zweimal zu machen“.

Was er noch immer gerne auslebt, ist eine gewisse Lust an der Provokation. Eine erste Werbekampagne nach der Haftverbüßung zeigte einen scheinbar zügellosen Becker, der im Dienste des Partners Fensterversand.com mit Scheinen um sich wirft – „Schmeißen Sie Ihr Geld nicht aus dem Fenster“, lautete das Motto. Nicht alle lachten über die Reklameveranstaltung. Wegen des Werbefilms lebte Becker zeitweise in Stuttgart, der Clip wurde in einer Villa in Halbhöhenlage im Auftrag des Stuttgarter Unternehmens Neuffer und Türen GmbH gedreht, das an der Onlineplattform Fensterversand.com beteiligt ist.

An seiner Kompetenz hat niemand Zweifel

Auf seinem ureigensten Terrain hatte Becker bereits zeitig einen Einsatz, bei den australischen Tennismeisterschaften im Januar in Melbourne. Er saß als Kommentator und Experte in einem Münchner TV-Studio da, als wäre nichts gewesen in den letzten Monaten. Tennis wird ihn zweifelsfrei auch in absehbarer Zukunft intensiv beschäftigen, weitere Grand-Slam-Turniere wird er wort- und kenntnisreich begleiten, an seiner Kompetenz und Klasse hat da niemand Zweifel. Beim Deutschen Tennis-Bund ist indes vorerst noch keine Stelle frei für den Come-Becker. Zwar hatte es nach Beckers Abschiebung nach Deutschland Stimmen im Verband gegeben, die ihm einen Job in Aussicht stellten. Doch im Präsidium fand sich keine Mehrheit dafür.

Vielleicht muss Becker bei seinem nächsten Neustart nur etwas in die Tat umsetzen, was er zuletzt bei einem Blick auf sein Leben nach der großen Karriere so formulierte: „Irgendwann ist man zu alt für Fußball oder Tennis, und der Zeitpunkt, sich neu zu erfinden, ist ein großes Dilemma. An diesem Punkt braucht man Hilfe.“ Hilfe und Helfer gäbe es genug, auch und gerade einer wie Ion Tiriac stünde da bereit, einer der gerissensten Geschäftemacher im Sportbusiness. Jener Mann, der den ganz jungen Becker einst wie ein zweiter Vater als Manager lenkte. „Wenn ich Ion heute anrufen würde, denke ich, dass er den Hörer abnimmt“, sagt Becker selbst. Nur tun müsste er es halt.