Christian Lindner, Annalena Baerbock und Olaf Scholz im Juni. Am Sonntag soll es gleich mehrere Sondierungsgespräche geben. Foto: dpa/Kay Nietfeld

Die kleineren Partner haben schon einen Gesprächsfaden gefunden - nun schalten sich die größeren Parteien voll ins Ringen um künftige Bündnisse ein. Am Sonntag gibt es dazu gleich drei Treffen.

Berlin - Eine Woche nach der Bundestagswahl starten nun auch SPD und Union in konkrete Sondierungen für eine Regierungsbildung. Die SPD-Spitze will an diesem Sonntag jeweils etwa zwei Stunden lang getrennt mit FDP und Grünen über eine von Kanzlerkandidat Olaf Scholz angestrebte Ampel-Koalition beraten. Am Abend wollen dann die Spitzen von CDU und CSU erstmals mit der FDP Chancen für ein Jamaika-Bündnis mit den Grünen ausloten. Nach dem historischen Wahldebakel der Union gerät Kanzlerkandidat und CDU-Chef Armin Laschet parallel zu den Sondierungen in den eigenen Reihen immer weiter unter Druck.

Die Grünen zeigten sich zuversichtlich, einer künftigen Koalition anzugehören. „Wenn wir uns nicht komplett dämlich anstellen, werden wir in den nächsten vier Jahren diese Regierung nicht nur mittragen, sondern maßgeblich mitbestimmen“, sagte Parteichef Robert Habeck am Samstag bei einem Kleinen Parteitag in Berlin. Er stellte seine Partei bereits auf „vier anstrengende Jahre“ ein. „Ab jetzt, ab Weihnachten vielleicht, ist jede Krise unsere Krise, ist jede Herausforderung unsere Herausforderung.“

Große Zustimmung der Grünen

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock sagte, ihre Partei sei von sieben Millionen Menschen gewählt worden, darunter viele junge Leute. Dies gebe einen Auftrag, als Teil der Regierung für eine wirkliche Erneuerung des Landes zu sorgen. „Wir haben in Deutschland erst einmal mitregiert“, sagte sie mit Blick auf die rot-grüne Koalition unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder von 1998 bis 2005. Anders als damals, als ihre Partei nur kleiner Partner war, wollten die Grünen nun für einen großen Aufbruch sorgen. Über einen Koalitionsvertrag und die personelle Aufstellung in einer möglichen neuen Regierung sollen die 120 000 Grünen-Mitglieder abstimmen. Das beschlossen die etwa 100 Delegierten des Parteitags bei einer Enthaltung.

Die SPD setzt auf zügige Fortschritte in den Gesprächen mit FDP und Grünen. „Ich glaube, es kann gelingen, schnell zu guten Ergebnissen zu kommen“, sagte Fraktionschef Rolf Mützenich der Deutschen Presse-Agentur. „Wir werden uns alle auf Augenhöhe begegnen“. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der „Welt am Sonntag“: „Wir müssen diesmal nicht bis zum Umfallen sondieren, denn wir wollen eine Ampel, in die alle drei Partner ihre Stärken einbringen. So gesehen könnten wir im Oktober mit den formellen Koalitionsverhandlungen beginnen und sie bis Dezember abschließen.“

Die SPD war bei der Bundestagswahl mit 25,7 Prozent stärkste Kraft geworden. Die Union stürzte auf den Tiefpunkt von 24,1 Prozent. Die Grünen kamen als Nummer drei auf 14,8 Prozent. Dahinter lag die FDP mit 11,5 Prozent. Grüne und FDP waren in dieser Woche bereits vorab zwei Mal zu vertraulichen Runden zusammengekommen.

Wer sich am Sonntag trifft

Am Sonntag trifft sich die SPD zunächst um 15.30 Uhr mit der FDP und dann mit den Grünen um 18.00 Uhr in einem Büro- und Konferenzgebäude in Berlin. Für die SPD soll eine Sechser-Delegation kommen. Grüne und FDP schicken jeweils Zehner-Delegationen. Die FDP-Gruppe um Parteichef Christian Lindner kommt dann am Abend um 18.30 Uhr auch noch zu einer ersten Gesprächsrunde mit der Union zusammen.

Altkanzler Schröder sieht nach der Wahl einen klaren Auftrag für eine Regierung aus SPD, Grünen und FDP. „Für mich gibt es eigentlich nur eine Konstellation: Das ist das, was man Ampel nennt“, sagte er in seinem Podcast „Die Agenda“ vom Samstag. Dies wäre eine Chance, Deutschland in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie zu erneuern. Die SPD müsse den Regierungsauftrag für sich in Anspruch nehmen. „Aber natürlich nicht mehr mit Koch und Kellner“, sagte er mit Blick auf frühere eigene Äußerungen zum Kräfteverhältnis zwischen der größeren SPD und den kleineren Grünen. Dieses Wort habe er damals in einer anderen Situation gebraucht, um Ängste vor seiner rot-grünen Regierung von 1998 zu reduzieren. „Inzwischen ist doch klar, dass sowohl die Grünen wie auch die FDP regierungsfähig sind.“

Die CDU hat am Samstag Gespräche vorbereitet

Laschet traf am Samstag mit Mitgliedern des CDU-Sondierungsteams in der Parteizentrale in Berlin zusammen, um die Gespräche mit der FDP und den Grünen in der kommenden Woche vorzubereiten. In der Partei wird zugleich immer offener über eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung diskutiert. „Dafür muss es einen Bundesparteitag geben, spätestens im Januar“, sagte Parteivize Jens Spahn der „Welt am Sonntag“. „Dass im Wahlkampf Fehler passiert sind und unser Spitzenkandidat nicht richtig gezogen hat, kann niemand leugnen.“ Unabhängig vom Ausgang der Sondierungen müsse klar sein: „Einfach so weitermachen ist keine Option.“

Mehrere CDU-Politiker forderten ein Mitgliedervotum über eine personelle Neuaufstellung, wenn die Jamaika-Sondierungen scheitern sollten. Der Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann sagte der „Bild“: „Um die Einbindung der Mitglieder werden wir bei der nächsten Entscheidung über den Vorsitz nicht herumkommen.“ Die „Bild“ hatte am Freitagabend berichtet, der bereits zwei Mal erfolglos als Kandidat angetretene Friedrich Merz wolle sich wieder um den Parteivorsitz bewerben, sollte es eine Mitgliederbefragung oder Basiswahl geben.