Hat nicht den besten Ruf: eine Ausbildung im Hotel- und Gaststättengewerbe. Foto: dpa/Paul Zinken

Die Ausbildung ist in der Krise. Jugendvertreter der Gewerkschaften fordern von der Wirtschaft eine „Kehrtwende“ statt weiterer „kurzfristiger Sparmaßnahmen“. Auch die Politik ist gefordert.

Stuttgart - Die alarmierenden Trends am Ausbildungsmarkt nehmen zu: So ist die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen in Baden-Württemberg laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) von 80 842 binnen zwei Jahren auf 71 443 im August dieses Jahres geschrumpft. Gleichzeitig sank die Zahl der Bewerber von 63 815 auf 50 819. Jens Liedtke, Abteilungsleiter Bildungspolitik beim DGB, mahnt eine Kehrtwende an: Allein im Vorjahr seien mehr als zehn Prozent der Ausbildungsplätze im Südwesten weggefallen – zumeist aber nicht wegen der Coronasituation. „Wenn diese Kapazitäten nicht zurückgewonnen werden, ist der künftige Fachkräftemangel garantiert.“

Mehr Lehrstellen gegen den demografischen Wandel

Angesprochen fühlen soll sich insbesondere die Automobil- und Zuliefererindustrie: „Transformation braucht mehr als kurzfristige Sparmaßnahmen der Arbeitgeber“, betont Christian Herbon, Jugendsekretär der IG Metall. „Wir werden alles daran setzen, dass wir die Zahl der Ausbildungsplätze wieder aufbauen, auch um den demografischen Wandel zu bewältigen.“ Er sieht allerdings die Gefahr, dass die Unternehmen ihre Lehrstellen noch weiter reduzieren werden, wenn sie die Erfahrung machen, nicht alle Plätze besetzen zu können. „Dann geraten wir in eine Abwärtsspirale“ – obwohl es nächstes Jahr deutlich mehr Bewerber geben werde.

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Denn auch den DGB besorgt der deutliche Rückgang der Bewerberzahlen in der Coronakrise, weil viele junge Menschen erst mal abwarten. Sie hatten weniger Orientierungsmöglichkeiten durch Praktika und Messen, konnten sich kaum mit dem Freundeskreis austauschen und sind verunsichert.

Betriebe haben Nöte mit der Besetzung von Lehrstellen

Zugleich zeichnete sich schon vor der Pandemie ab, dass viele Betriebe Mühe haben, Ausbildungsplätze zu besetzen. Nach einer aktuellen Analyse des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) hat sich die Besetzungsquote seit 2009 von 95 Prozent stetig auf 77 Prozent im Jahr 2020 verringert. Besonders stark betroffen sind kleine Betriebe mit bis zu 19 Mitarbeitern, wo die Quote von 95 auf 57 Prozent gefallen ist. Innovative und investierende Betriebe gerade aus industriellen Schlüsselbranchen hätten tendenziell weniger Sorge.

Alexander Münchow von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) vertritt eine Branche, deren Image beim Nachwuchs ohnehin dürftig ist. „Es hat sich herumgesprochen, dass im Hotel- und Gaststättengewerbe über Jahrzehnte auf Niedriglohn gesetzt wurde und dass man sich tarifvertraglichen Regelungen entzogen hat“, sagt er. So etwas erschwere die Neugewinnung von Auszubildenden. Hinzu komme ein „regelrechtes Ausbluten der Branche“. Es fehlten Fachkräfte, die mitunter auch Ausbilder seien. „Wir appellieren an die Arbeitgeber, einen Kulturwandel einzuleiten und eine andere Ausbildung zu realisieren.“ Ständig höre man, dass Azubis im Betrieb mehr als zwölf Stunden am Tag arbeiten müssten. Ausbildungsrahmenpläne würden kaum eingehalten. „Es bringt nichts, dass der Verband Dehoga mit dem großen Bus durchs Land fährt und für die Branche wirbt – wenn die Azubis am Ende merken, dass es in der Realität ganz anders aussieht.“

Ganz oben steht die Ausbildungsgarantie

Die DGB-Jugend hat Forderungen an die Politik und Behörden, auch an die mögliche Ampel-Koalition in Berlin. Ganz oben steht eine gesetzliche Ausbildungsgarantie mit Umlagefinanzierung, zudem eine Absicherung der unbefristeten Übernahme. Ferner solle die Einhaltung der Mindeststandards in der Ausbildung stärker kontrolliert werden.

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