In einer ersten Stufe ist zum 1. Juli 2022 ein Mindestgehalt von 10,45 Euro geplant. (Symbolbild) Foto: imago images/Steinach/Sascha Steinach via www.imago-images.de

Sie fehlte in kaum einer Wahlkampfrede von Olaf Scholz – nun brachte das Bundeskabinett die Mindestlohnsteigerung auf den Weg. Millionen Menschen sollen laut der Regierung profitieren. Die Arbeitgeber schäumen.

Berlin - Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland soll ab 1. Oktober ein Mindestlohn von 12 Euro gelten. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch den Gesetzentwurf von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die Erhöhung der Lohnuntergrenze. Damit gab die Ministerrunde grünes Licht für die Umsetzung eines zentralen Versprechens von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Wahlkampf.

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Heil sagte im ZDF-„Morgenmagazin“: „Wir erhöhen den Mindestlohn auf 12 Euro, damit er armutsfester wird.“ Dieser Schritt sei notwendig und stütze die Kaufkraft in Deutschland. Derzeit beträgt der Mindestlohn 9,82 Euro. Er gilt für nahezu alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bis zu 6,2 Millionen Beschäftigte sollen von der Erhöhung profitieren.

Lebenshaltungskosten sind gestiegen

Zum 1. Juli 2022 ist bereits eine Anpassung auf 10,45 Euro geplant. Drei Monate später dann soll das Niveau der Lohnuntergrenze einmalig außerhalb der üblichen Erhöhungsschritte angehoben werden. Normalerweise wird der Mindestlohn im Wesentlichen an die vorige Steigerung der Tariflöhne in Deutschland angepasst.

Der Gesetzentwurf begründet die Erhöhung auch mit steigenden Lebenshaltungs- und Wohnkosten. Diese stellten in Frage, ob eine Vollzeitbeschäftigung mit geltendem Mindestlohn zur „Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage“ reiche.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte, die Politik breche die Zusage, dass die Mindestlohnkommission die Lohngrenze festlege. In diesem Gremium bestimmen Arbeitgeber und Gewerkschaften normalerweise die Erhöhungsschritte. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit dort werde schwer gestört. Dulger sprach von einem „Systemwechsel von einer tarifpolitisch geprägten Mindestlohnentwicklung hin zu einer Staatslohnentwicklung“. Die Politik solle mit den Arbeitgeberverbänden zurück an den Tisch kommen, „um eine fatale Fehlentwicklung im sozialen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden“.

Gewerkschaft kritisiert Ausweitung der Minijobgrenze

Der Deutsche Gewerkschaftsbund wies die BDA-Kritik als realitätsfern zurück. „Der einzige Staatslohn ist der Dumpinglohn, der nur mit staatlichen Zuschüssen zum Existieren reicht“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Die Erhöhung sei eine Frage der Wertschätzung der Arbeit. Körzell forderte einen zügigen Bundestagsbeschluss. Zu rechnen sei mit einem Kaufkraftgewinn von rund 4,8 Milliarden Euro.

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Als Fehler kritisierte der DGB die geplante Ausweitung der Minijobgrenze, die künftig an die Höhe des Mindestlohns gekoppelt werden soll. Die Chance auf eine Reform werde vertan, Millionen Beschäftigte seien weiter nicht sozialversichert. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, warnte vor höheren Preisen etwa bei Obst und Gemüse. 

Die Linke-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Bundesregierung täte gut daran, sich von der Kritik der Arbeitgeber nicht beeindrucken zu lassen. Schon bei der Einführung des Mindestlohns 2015 wurde der Untergang des Wirtschaftsstandorts Deutschland prophezeit, das Gegenteil war der Fall.“ Ausnahmen oder großzügige Übergangsregeln dürfe es nicht geben. Damit reagierte sie auf Forderungen der BDA.

Nächste Erhöhung im Jahr 2024 geplant

Laut dem Gesetzentwurf soll über künftige Anpassungen wieder die Mindestlohnkommission entscheiden. Ihre nächste Entscheidung soll es zum 30. Juni 2023 geben - für die Erhöhungsstufe 1. Januar 2024.

Heil verteidigte die Pläne. Sie seien kein Angriff auf die Tarifautonomie. „Im Gegenteil. Ich will, dass wir mehr Tarifbindung in Deutschland haben.“ Die Kommission werde für weitere Erhöhungsschritte in den kommenden Jahren zuständig sein.

Deutschland zählt in der EU zu den Ländern mit vergleichsweise hohem Mindestlohn. Die seit Jahresanfang geltenden 9,82 Euro pro Stunde entsprechen bei einer Vollzeitstelle rechnerisch 1621 Euro brutto im Monat, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Höhere Mindestlöhne werden demnach in Luxemburg (2257 Euro), Irland (1775 Euro), den Niederlanden (1725 Euro) und Belgien (1658 Euro) gezahlt. Frankreich liegt mit 1603 Euro darunter.