Die Apotheken können teilweise ihre Kunden nicht mehr bedienen. Vor allem Kinder bekommen den Medikamenten-Engpass zu spüren. Foto: dpa/Christoph Soeder/Friso Gentsch

Fiebersaft, Schmerzmittel, Antibiotika: Viele Medikamente sind derzeit knapp in Deutschland. Wie das passieren konnte und was die Politik dagegen tun will.

Personalausfälle, viele Erkrankte sowie Lieferengpässe bei Medikamenten bringen deutsche Kliniken derzeit an ihre Grenzen. Die Engpässe betreffen nicht nur Nischenprodukte, sondern auch gängige Medikamente wie Schmerzmittel, Antibiotika, Krebsmedikamente oder auch Mittel gegen Bluthochdruck und Diabetes. Vor allem aber Fiebersäfte und Zäpfchen mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen für Kinder und Jugendliche sind knapp.

Auf der Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind derzeit rund 330 Arzneimittel aufgelistet. Da dort aber nur rezeptpflichtige Medikamente aufgeführt sind und die Meldung der Lieferengpässe freiwillig ist, könnte die Dunkelziffer weitaus höher sein. Die Lage ist also durchaus ernst – oder in den Worten von Frank Eickmann, dem Sprecher des Landes-Apothekenverbands Baden-Württemberg: „überall gleich schlecht“.

Wie konnte das passieren?

Dass sich die Situation so zuspitzt, hat viele Gründe. Einer ist die derzeit außergewöhnliche Häufung von Atemwegserkrankungen. Die aktuelle Welle ist inzwischen ungefähr acht Mal so hoch wie sonst zu dieser Jahreszeit, vorhandene Medikamenten-Bestände entsprechen aber etwa der Größenordnung aus Vor-Pandemie-Zeiten. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) behält die Lage im Auge. In einer aktuellen Stellungnahme heißt es: „Dem BfArM vorliegende Daten lassen keinen Rückschluss auf einen bundesweiten Lieferabriss erkennen. Dennoch führt eine festgestellte erhöhte Atemwegsinfektionsrate zu einem Mehrbedarf der betroffenen Arzneimittel, dem derzeit nicht im vollen Umfang nachgekommen werden kann.“

Das Bundesamt weist darauf hin, dass neben der Knappheit auch „von einer Verteilproblematik auszugehen“ sei. Der Hintergrund: Als im Sommer ein Hersteller mitteilte, dass es im Winter mit der Belieferung Schwierigkeiten geben dürfte, deckten sich einige Apotheken mit Vorräten ein, was den Markt zusätzlich verknappt hat und zu regionalen Engpässen führt.

Hohe Nachfrage, aber wenige Anbieter

Was die Lage so angespannt werden lässt, ist das Aufeinandertreffen einer ungewöhnlich hohen Nachfrage und einem Markt mit äußerst wenig Anbietern: Seit dem Sommer gibt es in Deutschland nur noch eine Firma, die Paracetamol-Fiebersaft herstellt. Die Ulmer Firma Teva mit ihrer Arzneimarke Ratiopharm hält einen Marktanteil von über 90 Prozent. Bei Fiebersaft mit dem Wirkstoff Ibuprofen ist die Situation ähnlich prekär – der Pharmakonzern Zentiva versorgt rund 70 Prozent des Marktes. Die hohe Nachfragesteigerung können die Hersteller nicht allein auffangen.

Dass es so wenig Hersteller gibt, liegt daran, dass mit Generika, also nicht patentgeschützten Medikamenten, nicht mehr viel zu verdienen ist. Der Preisdruck drängt Hersteller entweder ganz aus dem Markt oder führt zu einer Verlagerung der Produktion nach Asien, was zu zusätzlichen Anfälligkeiten aufgrund der langen Logistikkette führt. Verschärfend wirkt auch der Effekt, dass Krankenkassen über ihre Rabattverträge exklusive Verbindungen mit jeweils einem oder zwei Herstellern eingehen. Wenn dann Lieferungen ausfallen, ist der Markt leer. Zudem sind die Kassen dazu angehalten, stets den billigsten Anbieter bei ihren Ausschreibungen zu bevorzugen. Da diese strukturellen Gründe sich nicht nur bei Fiebersäften niederschlagen, erstaunt es nicht, dass die offizielle Liste gemeldeter Lieferengpässe des BfArM derzeit über 300 Positionen aufweist.

Was wird gegen die Engpässe unternommen?

Christian Splett, stellvertretender Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, schildert, was sich gerade tut: „Mehrere Großhändler werden angefragt, benachbarte Apotheken kontaktiert, andere Packungsgrößen, Wirkstärken oder Darreichungsformen in Betracht gezogen.“ Bei den Fiebersäften könne die Apotheke mit den Eltern klären, ob zumindest für ältere Kinder statt des Safts auch Tabletten geschluckt werden können. Manche Apotheken fertigen im Notfall auch Rezepturen selbst an. Außerdem fordert der Deutsche Apothekerverband Sonderregelungen aus der Pandemie beizubehalten, die den Apotheken ermöglichen, bei Lieferschwierigkeiten auf wirkstoffgleiche Präparate auszuweichen.

Lauterbach plant Gesetzesentwurf

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will der prekären Lage entgegenwirken. Wie in Sachen Krankenhausfinanzierung habe man es auch bei der Versorgung mit Arzneimitteln „mit der Ökonomie zu weit getrieben“, sagt er. Das führe dazu, „dass der billigste Anbieter bevorzugt werden muss, selbst wenn ein Engpass dadurch absehbar ist“.

Lauterbach hat nun angekündigt, schon in der nächsten Woche einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Problem angehe. Es wird damit gerechnet, dass die Vorgaben zu den Rabattverträgen so verändert werden, dass die Liefersicherheit ein wichtigeres Kriterium für die Vergabe wird.

Daneben arbeitet Lauterbach mit Wirtschaftsminister Habeck an einem Reformvorschlag für das europäische Ausschreibungs- und Vergaberecht. Hier sollen Wirkstoffe aus unterschiedlichen Regionen gleichwertig berücksichtigt werden, um die Abhängigkeit von Asien zu reduzieren. Für den aktuellen Fall der Fiebersäfte könnten die Maßnahmen aber nicht rechtzeitig kommen.