Christa Rinderknecht (hellgrüner Hoodie) in ihrem Element: Sie erklärt Schülern einer dritten Klasse – und nicht nur ihnen – was sie an den Erdäpfeln in der Kiste über den Verlauf des Jahres ablesen können. Foto:  

Tiere halten, Früchte ernten: Auf dem „Lernort Bauernhof im Heckengäu“ lernen Schulklassen, wie Landwirtschaft funktioniert – und das schon seit 20 Jahren. Das Angebot wird Jahr für Jahr noch beliebter.

Mit dem Futtereimer inmitten einer Gruppe Hühner auf der Wiese stehen oder zum ersten Mal das weiche Fell und die raue Zunge eines Kälbchens spüren – solche Erlebnisse bleiben im Gedächtnis.

Die Beobachtung, dass Kinder dies immer seltener erleben, weil deren Berührungspunkte mit der Landwirtschaft weniger werden, haben in der Region tätige Landwirte und Landwirte bereits 2004 gemacht. Auf Initiative des Kreisbauernverbands Böblingen, seines damaligen Vorsitzenden Andreas Kindler und unter Mitwirkung des Amts für Landwirtschaft im Landkreis Böblingen wurde der Verein „Lernort Bauernhof im Heckengäu“ mit damals elf beteiligten Betrieben gegründet. Dieser feiert nun sein 20-jähriges Bestehen.

Manchmal muss die Landwirtin schlucken

Heute hat sich die Zahl der Höfe, die sich beteiligen, mit 26 mehr als verdoppelt. Von Anfang an sind Christa und Ingwart Rinderknecht mit dabei, die auf ihrem Aussiedlerhof in Jettingen 150 Hektar Land bewirtschaften, Milchkühe sowie Hühner halten und in der Direktvermarktung aktiv sind.

„Kühe melken ist der Hit“ – und zu sehen, wie stolz die Kinder seien, wenn es klappt, sei immer wieder bewegend, berichtet Christa Rinderknecht bei einem Pressetermin anlässlich des runden Vereinsgeburtstags. Rund 15 bis 20 Schulklassen kommen jedes Jahr zu ihr, um die Landwirtschaft mit allen Sinnen zu erleben. Dabei gehe es auch darum, mit Vorurteilen aufzuräumen, insbesondere in puncto Tierhaltung.

In den ersten zehn Minuten seien sie schon oft mit dem Vorwurf „Ihr seid ja Mörder“ konfrontiert worden, erzählt die Landwirtin. „Da muss ich dann schon erst mal schlucken.“ Dann erkläre sie, dass auch sie das Beste für ihre Tiere möchten, aber auch wo die Lebensmittel herkommen – und zwar nicht nur Fleisch, sondern auch Käse und Joghurt: „Wenn ich erkläre, dass eine Kuh, um Milch zu geben, ein Kalb zur Welt bringen muss, staunen oft nicht nur die Kinder.“

Bei Rinderknechts darf auch der männliche Kuhnachwuchs als Milchkalb oder Weideochse auf dem Hof bleiben – bis er schlachtreif ist. Außerdem wird auch ein Teil der Milch für die Direktvermarktung im Hofladen und in Automaten vor Ort pasteurisiert und in Flaschen abgefüllt. „Bei uns sehen die Kinder den ganzen Kreislauf von der Entstehung der Lebensmittel bis zum Verkauf“, sagt Christa Rinderknecht.

Inzwischen gibt es sogar eine Warteliste

So lernt die dritte Klasse aus Wildberg-Gültlingen, die an diesem Tag zur Kartoffel-Ernte auf dem Hof ist, dass es an der Witterung liegt, dass die Knollen in diesem Jahr so klein sind: „Das Frühjahr war viel zu nass“ und daher seien die Kartoffeln erst spät in die Erde gekommen. „Und dann kam der Sommer, und der war viel zu heiß“.

Um die große Holzkiste mit den Kartoffeln scharen sich nicht nur die Kinder, sondern unter anderem auch einige Kreisräte, Vertreter des Kreisbauernverbands Nordschwarzwald-Gäu-Enz sowie Landrat Roland Bernhard: „Wir treffen damit den Nerv der Zeit“, schwärmt er. Auch die Schulen hätten erkannt, dass es nicht reicht, Landwirtschaft theoretisch zu erklären.

Der Landkreis fördert das Pädagogik-Angebot. Landrat Roland Bernhard, hier im Gespräch mit Christa Rinderknecht, ist überzeugt, damit den Nerv der Zeit zu treffen. Foto: K. Ruess

Wie erfolgreich dieses pädagogische Umweltprojekt ist, zeigen die bloßen Zahlen: Während in der Anfangszeit 30 bis 40 Schulklassen das Angebot angenommen haben, wurde der im vergangenen Jahr aufgestellte Rekord mit 120 Klassen dieses Jahr bereits wieder getoppt: 136 Schulklassen sind angemeldet – und es gibt eine Warteliste. Über 1000 Schulklassen haben so in 20 Jahren die Betriebe besucht. In diesem Jahr hätten auch einige Lehrerausflüge ihren Hof als Ziel gehabt, berichtet Christa Rinderknecht, die mit Herzblut ihr Wissen an kleine und große Besucher weitergibt.

Aufklärung wider das Zerrbild vom gequälten Tier

Angesichts der öffentlichen Debatte, in der oftmals das Bild entstünde, „als würden alle Tiere in der Landwirtschaft den ganzen Tag nur gequält werden“, sei Aufklärung weiterhin wichtig. Auch die große Bedeutung, die die Landwirtschaft für den Erhalt der Kulturlandschaft werde so bereits Kindern und Jugendlichen nähergebracht. Aus seiner Sicht sind die 30 000 Euro, mit denen der Landkreis das Projekt jährlich fördert, daher gut angelegtes Geld.

Für sie sei diese Unterstützung wichtig, „um die Kosten mittelfristig zu decken“, sagt Thomas Rott. Der Landwirt aus Aidlingen ist stellvertretender Vereinsvorsitzender, und er sitzt für die CDU im Kreistag. Aus seiner Sicht ist diese Form der Förderung im Landkreis ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den anderen Kreisen, die zum Heckengäu gehören. „Dadurch sind wir flächendeckend unterwegs“, sagt Thomas Rott.

Lernort Bauernhof im Heckengäu

Die Anfänge
In den ersten Jahren wurde der Verein unterstützt von Plenum Heckengäu. Über das Programm wurden Projekte gefördert, die sich für Erhalt und Entwicklung von Natur und Umwelt einsetzten. Daher trägt der Verein die Raumschaft im Namen, die sich über die Landkreise Böblingen, Calw, Enzkreis und Ludwigsburg erstreckt.

Das Jubiläum
An diesem Sonntag, 29. September, öffnen fünf Lernort-Betriebe anlässlich des 20-jährigen Bestehens ihre Tore. Unter www.bauernhof-im-heckengaeu.de gibt es für Kurzentschlossene alle Informationen zum Ablauf und zur Anmeldung.