Ministerpräsident Stephan Weil hat von seinem Amtsbonus profitiert. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Obwohl bundespolitische Themen in Niedersachsen dominierten, gerät SPD-Ministerpräsident Stephan Weil nicht in den Abwärtsstrudel seiner Partei im Bund. Die SPD behauptet sich, düpiert die CDU und strebt Rot-Grün oder eine Ampel an.

Wie die Stromrechnung begleichen? Wie die Miete bezahlen und die Heizkosten? Mit solchen Themen sind im niedersächsischen Landtagswahlkampf alle Parteien konfrontiert worden. Ständig sei er mit den Sorgen der Bürger konfrontiert worden, sagte der seit 2013 amtierende SPD-Ministerpräsident Stephan Weil vor dem Schließen der Wahllokale: „Das war einer meiner schwierigsten Wahlkämpfe“. Er wäre „glücklich“, wenn die SPD stärkste politische Kraft bleibe und das Ergebnis mit „Drei“ beginne.

Und das Glück trat ein. Kurz nach der ersten Prognose am Ende dieses sonnigen Wahltages, an dem die Freiluftcafés in Hannover gut besucht waren, setzte ein Jubeln bei den Sozialdemokraten im früheren Kino Capitol ein. Tief gedrückt und enttäuscht die Stimmung auf der CDU-Wahlparty im „Cavallo“, was einmal die königliche Reithalle gewesen ist. Die Strategie von Weils Gegenspieler und Koalitionspartner, CDU-Wirtschaftsminister Bernd Althusmann, vor einem Chaos zu warnen unter Rot-Grün oder einer Ampel in Niedersachsen, ging offenbar nicht auf. Zum einen hatte der 63-jährige Weil seine Popularitätswerte gegenüber dem 55-jährigen Konkurrenten Althusmann enorm steigern können. Gut möglich auch, dass der wegen der Energiekrise auf die Reaktivierung von Atomkraftwerken setzende Althusmann die Widerstände gegen Atomkraft in dem von der Gorleben-Debatte gebeutelten Land unterschätzte.

Althusmann kündigt Rücktritt an

Schon zum zweiten Mal hat Althusmann es nun nicht gegen Weil geschafft. Die Hoffnung, die CDU im Land zur stärksten politischen Kraft zu machen, war bei ihm bis zuletzt vorhanden. Er wolle noch um 18 Uhr Friedrich Merz anrufen, und ihm sagen, „Auftrag erfüllt“, hatte Althusmann vor kurzem noch gesagt. Mit den ersten Hochrechnungen ist der Traum geplatzt. Althusmann kündigte noch am Wahlabend seinen Rücktritt vom CDU-Landesvorsitz an, nur wenige Minuten nachdem der CDU-Generalsekretär Sebastian Lechner den Unterlegenen noch als „Zugpferd“ für die Christdemokraten gelobt hatte und die CDU-Verluste damit erklärte, es sei nun mal so, dass sich die Wähler „in einer Krise hinter den amtierenden Ministerpräsidenten scharten“. Althusmann aber erklärte deutlich, man habe das Wahlziel nicht erreicht. „Wir nehmen das Votum demütig an.“

Der Wahlsieger Weil hatte mehrfach erklärt, dass er die aus der Not 2017 geborene Koalition mit der CDU nicht fortsetzen und zurück zu Rot-Grün wolle. Ein erstes Bündnis von SPD und der Ökopartei war 2013 geschmiedet worden, es hatte 2017 nach einem Fraktionswechsel der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zur CDU aber ihre Mehrheit verloren. Rot-Schwarz war die Folge, jetzt ist es am Ende. Der Staat müsse in der Krise den Bürgern zur Seite stehen, er müsse sich bewähren und müsse funktionieren: Mit diesem Credo war der freundlich-sachliche Stephan Weil im Wahlkampf von Marktplatz zu Marktplatz gezogen. Für diese Politik sah er in der Allianz mit der CDU keine Zukunft, denn die blockiere Kreditfinanzierungen von wichtigen staatlichen Subventionen, so Weil. Ein von ihm für nach der Wahl in Aussicht gestelltes 970-Millionen-Entlastungspaket – für ärmere Bürger, Unternehmen, Kliniken – war von Althusmann als unseriös kritisiert worden. Der Bruch war absehbar. „Die Menschen mögen Weil, sie wollen ihn als Ministerpräsidenten haben, das ist ein Grund zum Jubeln“, so SPD-Sozialministerin Daniela Baehrens.

Klimathemen bei der Wahl wichtig

Einer Neuauflage von Rot-Grün steht nun wenig im Weg. Eine Wiederbeteiligung an der Macht wird bei den Grünen nach dieser „Bundeswahl“ – so Spitzenkandidatin Julia Hamburg – begrüßt: „Wir freuen uns sehr, dass wir mit diesem historischen Ergebnis wieder Verantwortung übernehmen, das Land mitgestalten und zukunftsfähig machen können.“Anders als die SPD gerieten sowohl die FDP als auch die Grünen in den Abwärtsstrudel der Umfragewerte über die an der Ampel im Bund beteiligten Parteien. Aber bei den Grünen ist lediglich der Höhenflug in den Umfragen gebremst worden, die der Ökopartei im August noch Werte um die 20 Prozent beschert hatten. Der Co-Grünen-Spitzenkandidat Christian Meyer sagt, die Waldbrände im Harz und der Lüneburger Heide hätten den Menschen die Notwendigkeit für Klimaschutz vor Augen geführt. Bei den die Bürger bewegenden Topthemen, die Infratest ermittelte, landete Klimaschutz aber nach Energieversorgung und Preissteigerungen auf Platz drei, Bildung war Nummer vier.

Vor allem die AfD scheint Gewinner des Themas Inflation zu sein. „Wir leben in einer verrückten Welt“, klagt die Partei unter Spitzenkandidat Stefan Marzischewski und verspricht „Normalität“. Man werde von beispiellosen Preissteigerungen in allen Lebensbereichen heimgesucht. Die AfD werde „dafür sorgen, dass Heizung und Warmwasser, Kraftstoffe und Lebensmittel bezahlbar bleiben“. Für das umstrittene Gasfracking in Niedersachsen hat sich als einzige Partei übrigens die FDP unter Spitzenkandidat Stefan Birkner ausgesprochen. Damit allein kann ihr Abrutschen aber nicht erklärt werden. Der FDP-Abgeordnete Hermann Grupe sagt, es sei derzeit schwer, die Botschaft zu vermitteln, dass all die Entlastungen auch bezahlt werden müssten. Eine Ampel sieht er positiv: „Wir und Grüne haben schon in der Opposition gut zusammengearbeitet.“ Aber Rot-Grün braucht die FDP vermutlich gar nicht zum Regieren.

Nur FDP für Gasfracking