Cem Özdemir will Ministerpräsident in Baden-Württemberg werden (Archivbild). Foto: IMAGO/Frank Ossenbrink/IMAGO/Frank Ossenbrink

Schaut man auf die aktuellen Umfragen, muss Cem Özdemir viel Rückstand aufholen, wenn er Ministerpräsident werden will. Warum ein Freiburger Politikexperte trotzdem Chancen für ihn sieht.

Trotz schlechter Umfragewerte und dem miesen Ansehen der Ampel-Bundesregierung sieht der Freiburger Politikexperte Michael Wehner durchaus Chancen für Cem Özdemir (Grüne) bei der nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg. „Das Rennen ist offen - aber Özdemir muss einen Hundertmeterlauf zehn Meter hinter der Startlinie beginnen“, sagte Wehner der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. 

Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir hatte am Freitag verkündet, er wolle Spitzenkandidat der Grünen bei der nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg werden. In einem Brief an die Bürgerinnen und Bürger schrieb Özdemir, er wolle ihnen als Ministerpräsident dienen und alles für das Land geben. Amtsinhaber Winfried Kretschmann (Grüne) tritt 2026 nach 15 Jahren als Ministerpräsident nicht mehr an. Der wohl aussichtsreichste Herausforderer Özdemirs dürfte der neue CDU-Landesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel werden.

Etikett der Verbotspartei

Ein Nachteil für Özdemir ist aus Sicht von Politologe Wehner, der als Professor an der Universität Freiburg lehrt und die dortige Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung leitet, das aktuelle Image der Grünen. „Die Grünen sind derzeit mit dem Etikett der Verbotspartei belegt“, sagte Wehner. Zudem seien mit Migration, Sicherheit und Wirtschaft Themen auf der Tagesordnung, die man nicht mit der Partei verbinde. „Bei den aktuellen Rahmenbedingungen wird Ökologie als politisches Problem zweiter Ordnung wahrgenommen“, erklärte Wehner. 

Als Malus sieht Wehner auch den schlechten Ruf der Ampelregierung, der Özdemir seit 2021 als Bundeslandwirtschaftsminister angehört. Deren Ansehen sei ein Problem für den Politiker. Er geht aber davon aus, dass Özdemirs Bekanntheit und seine politischen Ansichten das aufwiegen können. „Der Bekanntheitsbonus und der realpolitische Bonus überwiegt aus meiner Sicht die mögliche schlechte Bewertung seiner Zeit in der Ampelkoalition“, sagte der Politologe. 

Nicht gerade rosig sehen zudem die Umfragewerte für die Grünen in Baden-Württemberg aus. In Meinungsumfragen lag die CDU im Südwesten zuletzt mit 16 Prozentpunkten Vorsprung deutlich vor den Grünen - auch bei der Europawahl musste die Ökopartei teils heftige Verluste in allen Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs hinnehmen. 

Umfragen ändern sich schnell

Umfragen könnten sich aber auch schnell ändern, sagte Politikexperte Wehner - auch wenn der Abstand derzeit groß sei. Bis zur Wahl im Frühjahr 2026 gingen noch einige Tage ins Land, auch die Themenkonjunktur könne sich noch verändern. „Eine entscheidende Rolle für den Ausgang der Wahl wird auch die Bundestagswahl spielen und die Frage, wer danach im Bund regiert und wie diese Regierung wahrgenommen wird.“ Denn bricht die Ampelkoalition nicht vorzeitig, findet die nächste Bundestagswahl im September 2025 statt und damit recht knapp vor der Landtagswahl im Südwesten. 

Nach der Ankündigung der Spitzenkandidatur Özdemirs forderte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, den Minister auf, seine Aufgaben im Bund nicht zu vernachlässigen. „Die Landwirte haben einen Anspruch auf einen Minister, der sich mit ganzer Kraft ihren Sorgen und Nöten widmet“, sagte Frei der „Rheinischen Post“ (Samstag). Er warf Özdemir vor, dem „Ampel-Chaos“ in Berlin entfliehen zu wollen. Anstatt sich jedoch vorzeitig Gedanken darüber zu machen, „wie seine persönliche Karriere nach dem Ende dieser Bundesregierung weitergehen könnte, sollte er sich vor allem um seine Aufgaben in Berlin kümmern“.