Ministerpräsident Kretschmann hatte bei der Sondersitzung im Landtag für die Abgeordneten eine echte Nachricht im Gepäck. (Archivbild) Foto: dpa/Marijan Murat

Nun doch keine Osterruhe - mit der Rücknahme des Beschlusses von Bund und Ländern verursacht die Kanzlerin Wirrwarr in der Landtagssitzung. Ministerpräsident Kretschmann entschuldigt sich für das „Hin und Her“.

Stuttgart - Man hat sich ja nach einem Jahr im permanenten Ausnahmezustand an viele Dinge gewöhnt. An Sondersitzungen des Landtags zum Beispiel. Regelmäßig nach den Bund-Länder-Schalten erklärt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nämlich den Parlamentariern die neuesten Beschlüsse im Kampf gegen die Pandemie und steht ihnen Rede und Antwort. Aber die Landtagssitzung am Mittwoch beinhaltete dann doch ein paar ungewöhnliche Überraschungen. Etwa dass ein Ministerpräsident spontan aus dem Plenum eilen muss, weil er von der Kanzlerin gerufen wird. Der dann aber bald wieder kommt, um sich zu öffentlich entschuldigen. Für eine Osterruhe, die storniert wurde wie ein unpassender Flug nach Mallorca. Die Sitzung wird permanent gestört von krawallgebürsteten, rechten Abgeordneten, die bald aus dem Landtag fliegen und ihr Parlamtarierdasein nochmal voll auskosten - sehr zum Unmut der anderen.

Dabei hatte Ministerpräsident Kretschmann am Morgen für die Abgeordneten eine echte Nachricht im Gepäck: Nach den Osterferien sollen alle Kinder und Jugendlichen im Land schrittweise und mit regelmäßigen Corona-Tests wieder in die Schulen zurückkehren können - trotz der Gefahr durch die Mutanten. „Wir wollen hier Perspektiven geben“, sagt er. Voraussetzung dafür seien zwei Corona-Tests die Woche für Lehrer und Schüler. Außerdem neu: Wer in einem privaten Auto mitfährt, muss eine medizinische Maske tragen, sofern die Person nicht dem Hausstand des Fahrers angehört.

Die schwierigste Phase der Pandemie

Man stecke in der schwierigsten Phase der Pandemie, müsse weiter verschärfen, sagt Kretschmann. Er betont nochmal, wie wichtig es sei, die Notbremse ab einer 100er-Inzidenz zu ziehen. Die in der Bund-Länder-Schalte ursprünglich beschlossene Osterruhe erklärt der Ministerpräsident als „unkonventionelle Maßnahme“, da gehe es um fünf Tage nach dem Motto „Deutschland bleibt zuhause“.

Nix da. Eine Stunde später ist die Osterruhe Geschichte. Der Beschluss aus der 15-stündigen Marathonsitzung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Länderchefs in der Nacht zu Dienstag war heftig kritisiert worden. Die Kanzlerin ruft die Ministerpräsidenten daher am Mittwoch spontan zum Nachsitzen - und bringt Kretschmann in eine terminliche Zwickmühle. Soll er die Parlamentarier daheim vor den Kopf stoßen oder die Kanzlerin? Der Grüne entscheidet sich, sich im Landtag von Vizeregierungschef Thomas Strobl (CDU) vertreten zu lassen. Es sei eben noch nicht alles in trockenen Tüchern, begründet er die Änderung seines Terminplans. Und er versichert den Abgeordneten: „Ich verspreche, dass ich Ihre Protokolle lesen werde.“

„Ich möchte mich bei der Bevölkerung für dieses Hin und Her entschuldigen“

Nach einer halben Stunde allerdings ist Kretschmann schon wieder im Saal. Die Kanzlerin und die Länder-Regierungschefs haben ihren Oster-Plan gekippt. „Ich möchte mich bei der Bevölkerung für dieses Hin und Her entschuldigen“, sagt Kretschmann. Die Initiative dafür sei von Merkel ausgegangen, wofür er ihr Respekt zolle. Das Sprichwort „der Teufel steckt im Detail“ habe sich bewahrheitet.

Es ist eine ungewöhnliche Vorstellung, die die Regierenden in diesen Zeiten darbieten. Eigentlich massig Angriffsfläche für die Opposition. Die Kritik fällt aber eher zurückhaltend aus. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch beklagt, dass zu dem Corona-Frust noch viel vermeidbarer Frust hinzu komme. Es gehe aber nicht darum, Schuldzuweisungen zu verteilen, betont er. Man habe Verständnis, dass die Lage schwierig sei, sagt auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, man verweigere sich nicht grundsätzlich Verschärfungen. Bei der Sache mit der Osterruhe kritisiert er vor allem die Kanzlerin.

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Vielleicht fällt die Kritik auch zahmer aus als sonst, weil SPD und FDP mit Kretschmann regieren wollen. Parallel zum Corona-Krisenmanagement laufen die Sondierungsgespräche. Kretschmann kann sich entscheiden zwischen einer Neuauflage von Grün-Schwarz und einer Ampelkoalition mit SPD und FDP. Wolfgang Reinhart stellt denn auch eine „wundersame Verwandlung“ des FDP-Fraktionschef Rülke fest, der sonst für seine scharfen Angriffe auch auf die Grünen bekannt ist - vom „obersten Spötter“ des Ministerpräsidenten zum „fröhlichen Ampelmännchen“.

So richtig frontal greift an diesem Mittwoch nur die AfD den Ministerpräsidenten an - und fraktionslose Abgeordnete, die nicht mehr in der AfD sind und bald auch nicht mehr im Landtag. Sie fahren ihre Pöbeleien und Provokationen nochmal eine Stufe hoch. Der Ex-AfDler Heinrich Fiechtner kassiert mehrere Ordnungsrufe. Am Ende wird der mit den Abgeordneten Stefan Räpple und Wolfgang Gedeon (alle ehemals AfD) ein Protestplakat durch das Plenum tragen. Aufschrift „Maskenpflicht für Schulkinder - ein politisches Verbrechen“. Manche Abgeordnete schreien empört „Raus!“, andere schauen angestrengt weg - in der Hoffnung, dass solche Aktionen in der neuen Legislaturperiode der Vergangenheit angehören.