Die Krankenhäuser stehen mit dem Rücken zur Wand: Landrat Roland Bernhard sorgt sich um die Existenz der Häuser im Klinikverbund Südwest. Foto: Stefanie Schlecht

In einem dramatischen Brandbrief an den Bundesgesundheitsminister fordern Roland Bernhard (Böblingen) und Helmut Riegger (Calw) eine neue Finanzstruktur für die Krankenhäuser

Die Coronazahlen steigen an, im Klinikverbund Südwest, zu dem die Krankenhäuser in Böblingen, Calw, Herrenberg, Leonberg, Nagold und Sindelfingen gehören, nehmen die Belastungen für pflegerisches wie medizinisches Personal extrem zu. Jetzt schlagen die Landräte der den Klinikverbund tragenden Landkreise Böblingen und Calw Alarm: In einem Brandbrief fordern Roland Bernhard (parteilos) und Helmut Riegger (CDU) Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nachdrücklich auf, Worten endlich Taten folgen zu lassen und für eine Refinanzierung der in Kliniken anfallenden Kosten zu sorgen.

Lauterbach hatte sich jüngst zu Wort gemeldet und die „größte Krankenhausreform der vergangenen 20 Jahre“ angekündigt. Zuvor hatten sich im Rahmen der bundesweiten Aktion „Alarmstufe Rot“ der Deutschen Krankenhausgesellschaft bundesweit Kliniken und deren Träger lautstark zu Wort gemeldet, um auf die prekäre Situation der Krankenhäuser aufmerksam zu machen.

Mehr als 7000 Covid-Patienten

„Grundsätzlich begrüßen wir die jüngsten Ankündigungen einer Krankenhausreform, stehen doch die Krankenhäuser in Baden-Württemberg nach über zweieinhalb Jahren Pandemie mehr denn je mit dem Rücken zur Wand“, schreiben Roland Bernhard und Helmut Riegger. Corona hat zu enormen Mehrbelastungen für die Kliniken geführt. Allein im Klinikverbund Südwest wurden mehr als 7000 Covid-Patienten behandelt. Und die bisherigen Ausgleichszahlungen decken die Zusatzausgaben bei weitem nicht ab. Hinzu kommen die Auswirkungen aus dem russisch-ukrainischen Krieg, der exorbitante Preisanstiege zur Folge hat.

Im Klinikverbund herrscht gegenwärtig ein Krankenstand, der zum Teil doppelt so hoch ist, wie in Vergleichsjahren. 78 Prozent der Krankenhäuser bundesweit gehen für den Herbst und Winter davon aus, aufgrund des Personalmangels wieder vermehrt planbare Operationen verschieben zu müssen. Im Klinikverbund Südwest ist das bereits der Fall: In der zweiten Oktoberwoche musste man den traurigen Rekord von 136 Coronapatienten zeitgleich in allen sechs Häusern verzeichnen – der bisherige Höchstwert im Verlauf der gesamten Pandemie.

Neuer Coronarekord

Nach wie vor liegt das Niveau für die stationären Patientenbehandlungen fast zehn Prozent unter der Vor-Corona-Zeit, sprich den Kliniken fehlen schlichtweg die Einnahmen. Dadurch wird aufgrund der leistungsmengenabhängigen Finanzierung das Defizit stetig vergrößert. Im Verbund allein macht das einen Umsatzrückgang von 13 Millionen Euro jährlich aus.

32-Millionen-Defizit wird steigen

Schon allein durch den Krieg in der Ukraine rechnet man bei den Verantwortlichen des Klinikverbundes in diesem Jahr mit Zusatzbelastungen von weiteren fünf Millionen Euro, für die es bisher keine Kompensationen gibt. Für das Geschäftsjahr 2021 lag das Defizit im Verbund bei mehr als 32 Millionen Euro, für 2022 ist eine weitere Verschlechterung jetzt schon absehbar.

Man stehe weiterhin hinter der kommunalen Trägerschaft, betonen die beiden Landräte in ihrem Schreiben. Allerdings stoße man an die eigenen finanziellen Leistungsgrenzen. Dabei sei man auf dem Weg, die Krankenhausstrukturen zukunftsfähig auszurichten. „Bis 2026 investieren wir nahezu eine Milliarde Euro in unsere Kliniken.“

Bernhard und Riegger fordern einen „Kurswechsel“: Dazu gehörten ein sofortiger Inflationsausgleich in Form eines Rechnungsaufschlags von vier Prozentpunkten und perspektivisch ein Ausgleich der echten Mehrkosten, das Wiederanlaufen der Coronahilfen und die Entbürokratisierung der Kliniken sowie eine vollständige Refinanzierung der Tarifkostensteigerungen.

„Lassen Sie kommunale Krankenhäuser wie den Klinikverbund Südwest nicht absaufen“, lautet ihr eindringlicher Schluss-Appell. Es gehe um nicht weniger als um die Versorgung der Menschen vor Ort.