Eine Maschine der deutschen Luftwaffe auf dem Weg nach Kabul. Foto: AFP/MARTIN BUSCHHORN

Viel schneller als erwartet stehen die Taliban in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Die Evakuierung deutscher Staatsbürger und afghanischer Ortskräfte der Bundeswehr und deutscher Ministerien ist schwierig und gefährlich.

Doha/Wunstorf/Berlin - Die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus der von den Taliban übernommenen afghanischen Hauptstadt Kabul hat begonnen. In der Nacht zu Montag landeten nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 40 Mitarbeiter der deutschen Botschaft mit einem US-Flugzeug in Doha im Golfemirat Katar. Wenige Stunden später starteten am Morgen die ersten drei Militärmaschinen der Bundeswehr mit Fallschirmjägern an Bord Richtung Kabul. Sie sollen die Evakuierung absichern.

Es ist die bislang wohl größte Mission dieser Art der Bundeswehr - und eine besonders brisante. „Fest steht: Es ist ein gefährlicher Einsatz für unsere Soldatinnen und Soldaten“, schrieb das Verteidigungsministerium am Montag auf Twitter. Die Bundeswehr war erst Ende Juni nach einem 20-jährigen Einsatz aus Afghanistan abgezogen.

Die Taliban hatten in den vergangenen Tagen in einem rasanten Tempo eine Stadt nach der anderen teilweise kampflos eingenommen, waren am Sonntag auch in die Hauptstadt Kabul eingedrungen und haben bereits den Präsidentenpalast in ihrer Kontrolle. Die Bundesregierung hatte angesichts der dramatischen Lage am Freitag entschieden, das Botschaftspersonal auf ein Minimum zu reduzieren. Am Sonntag wurden bereits alle Mitarbeiter zum Flughafen gebracht, der von mehreren tausend US-Soldaten abgesichert wird.

Die Bundeswehr werde mit einem robusten Mandat „solange es die Möglichkeiten vor Ort zulassen, so viele Menschen wie möglich aus Kabul, aus Afghanistan rausholen. Das ist der Auftrag der Bundeswehr“, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Dies hänge extrem von der Unterstützung durch die US-Seite ab.

Umfang der Aktion noch unklar

Der erste Evakuierungsflug wurde mit einer US-Maschine absolviert. Fortgesetzt werden soll die Aktion mit den Bundeswehrmaschinen vom Typ A400M. Sie sollen in den nächsten Tagen zentraler Bestandteil einer „Luftbrücke“ sein, über die neben den Botschaftsmitarbeitern auch andere deutsche Staatsbürger sowie Ortskräfte, die für die Bundeswehr oder Bundesministerien in Afghanistan gearbeitet haben oder noch arbeiten, nach Deutschland bringen.

Die Maschinen, die Platz für 114 Passagiere bieten und über besonderen Schutz gegen Angriffe beispielsweise mit Raketen verfügen, fliegen die Betroffenen zunächst nach Taschkent im Nachbarland Usbekistan aus. Von dort geht es mit zivilen Maschinen weiter nach Deutschland.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte laut Teilnehmerkreisen am Montag bei einer Sitzung des CDU-Vorstands, die Bundesregierung habe vor Monaten bereits 2500 Ortskräfte in Afghanistan identifiziert. Bei 600 davon wisse man derzeit nicht, ob sie in Drittstaaten seien. Weitere 2000 Menschen habe die Bundesregierung identifiziert, die ebenfalls ausreisen sollten, wie etwa Menschenrechtler und Anwälte. Insgesamt gehe es bei dieser Gruppe um 10 000 Menschen, da die Familienmitglieder mitgerechnet würden.

„Operatives Kernteam“ soll in Kabul bleiben

Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte bereits am Sonntag, dass die Sicherheit der deutschen Staatsangehörigen und der afghanischen Mitarbeiter der vergangenen Jahre „oberste Priorität“ haben. Nach seinen Angaben wird ein „operatives Kernteam“ der Botschaft in Kabul am militärisch gesicherten Teil des Flughafens bleiben, um die Arbeitsfähigkeit der Botschaft zu erhalten und um die weiteren Evakuierungsmaßnahmen mit begleiten zu können. Das eigentliche Botschaftsgebäude wurde geschlossen.

„Wir setzen jetzt alles daran, unseren Staatsangehörigen und unseren ehemaligen Ortskräften eine Ausreise in den kommenden Tagen zu ermöglichen“, sagte Maas. „Die Umstände, unter denen das stattfinden kann, sind aber derzeit schwer vorherzusehen.“ Deshalb stehe die Bundesregierung auch in einem engen Austausch mit den USA und anderen internationalen Partnern.

Kabinett legt Mandat vor

In der Kabinettssitzung an diesem Mittwoch soll das Mandat für den Bundeswehreinsatz beschlossen werden. Darüber unterrichtete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen telefonisch, wie die dpa aus Teilnehmerkreisen erfuhr.

In der darauffolgenden Woche soll dann der Bundestag darüber beraten und entscheiden. Am 25. August kommt das Parlament ohnehin zu einer Sondersitzung zusammen, um die Hilfen für die Hochwassergebiete zu beschließen. Dann soll auch der Evakuierungseinsatz auf die Tagesordnung kommen. Bei Gefahr im Verzug können bewaffnete Bundeswehreinsätze wie in diesem Fall auch nachträglich vom Parlament mandatiert werden. Zudem soll der Verteidigungsausschuss des Bundestags noch in dieser Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommen.

Die Opposition kritisiert die späte Evakuierung

Am Tempo der Evakuierungsaktion gibt es heftige Kritik aus der Opposition. Der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff sagte der „Welt“ (Online Sonntag/Print Montag), Maas, Kramp-Karrenbauer und Innenminister Horst Seehofer (CSU) hätten „auf ganzer Linie versagt“. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock forderte am Montag in Frankfurt (Oder): „Es muss klar sein, dass dafür jetzt alles Notwendige getan werden muss, auch mit Unterstützung der deutschen Bundeswehr, dass Menschen evakuiert werden.“

Der Fraktionsgeschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, nannte das Agieren vor allem von Maas „skandalös“. Korte warf dem Außenminister vor, damit Menschenleben zu gefährden. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland kritisierte in der „Welt“, die Bundesregierung habe den richtigen Zeitpunkt für die Evakuierung „verschlafen“.

Der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Rolf Mützenich, hatte dagegen bereits am Sonntag Vorwürfe gegen Maas zurückgewiesen. „Heiko Maas leitet nicht nur den Einsatzstab zur Rettung der deutschen Staatsangehörigen und Botschaftskräfte, sondern hat sich in den letzten Wochen auch intensiv um die Ausreise der afghanischen Ortskräfte und weiterer Menschen, die über die Unterstützung der Bundeswehr hinaus vor Ort tätig sind, gekümmert.“ Zudem befinde er sich im ständigen Austausch mit den internationalen Partnern.