Kurt Weidemann – zum 100. Geburtstag wieder im Mittelpunkt Foto: abk/abk

Am Donnerstag, 15. Dezember, wäre der Gestalter Kurt Weidemann 100 Jahre alt geworden. Anlass für das Fest „Kurt 100“ im Stadtpalais Stuttgart – und für Querverweise.

Unter dem Titel „Kurt 100“ erinnern sich Weggefährten am Donnerstag, 15. Dezember, im Stadtpalais Stuttgart an den 2011 im Alter von 88 Jahren gestorbenen herausragenden Gestalter Kurt Weidemann. Um 19 Uhr beginnt der Abend, der Eintritt ist frei. An diesem Tag wäre Weidemann 100 Jahre alt geworden. Gestalter, Ein-Mann-Unternehmer, Wegbereiter, Ermöglicher, Hochschullehrer, Zeichner – es gibt bis heute viel zu bestaunen im Panorama Weidemann. Auch und gerade die leisen Töne.

Ewiges „Ein-Mann-Büro“

Große Apparate haben ihn nie interessiert. „Ich bin ein Ein-Mann-Büro“, hat Kurt Weidemann gesagt. „Gestalter“ – dieses Wort musste reichen, um seine mit dem weltweit renommierten Lucky-Strike-Design-Award geehrte Arbeit zu beschreiben. Ein zweites Wort stand für ihn selbst: Menschenfreund.

Lachend, mit offenen Armen. So hat man Kurt Weidemann in Erinnerung. Der Hut, das weiße Hemd, die Weste, Taschenuhr und Brille, eine helle Hose, die roten Ferrari-Schuhe. Ein König seiner Zunft, die heute unter der Überschrift Grafikdesign gerne alles hineinpackt, was man im einzelnen nicht wirklich beherrscht. Es war ein Leben, in dem der König auch Narr sein wollte und sein konnte. Kurt Weidemann, Gestalter, Stuttgart.

Die Größten als Kunden

Natürlich war Weidemann in seinem Fach das, was man einen Star nennt – wie aber könnte er als solcher seine Lieblingsrolle als Kommunikator spielen? Da kam er, nach dessen Pfeife noch heute Schriften tanzen (wie die wenn auch aufgeweichte Weidemann-Familie für Mercedes-Benz) und Zeichen (wie das von ihm neu definierte Deutsche-Bahn-Logo, das verfeinerte Porsche-Signet oder der präzisierte Daimler-Stern), doch lieber aus der Tiefe des von Freunden bevölkerten Raumes.

Kurt Weidemann war scheinbar immer auf dem Sprung Foto: privat

Dass Kurt Weidemann manchem als Kult galt, dafür konnte der Mann wenig. Oder doch? Mitunter reicht es heute schon, ehrlich zu sein, um die Menschen zu entzücken. So bekannte Weidemann einmal per Anrufbeantworter: „Da ich nicht nur im Leben stehe, sondern mich auch in ihm bewege, ist Abwesenheit unabwendbar.“

Immer für die Klarheit

Solche Abwesenheit führte den Lehrer Kurt Weidemann an die Hochschulen in Stuttgart, Koblenz und Karlsruhe – wiederholte Ausflüge in die USA inklusive. Als Professor wie als Berater war Weidemann für Klarheit. Die Losung war eindeutig: Wer ihn um Rat fragt, bekommt Antwort; wer sich einen Vorteil von ihm erhofft, rutscht meist böse aus.

Wichtiger Kommunikator

Kurt Weidemanns Lebenswerk als Gestalter fasst ein 1994 in der Edition Cantz erschienener 367-Seiten-Band zusammen: „Wo der Buchstabe das Wort führt“, ist der „Versuch einer rückwärts gerichteten Vorausschau“ betitelt. Bestellen lässt sich das Buch seit Jahren nicht mehr. Das Hauptwerk – vergriffen.

Kurt Weidemann mit dem Band „Wo der Buchstabe das Wort führt“ Foto: dpa

Weidemanns Rolle als Kommunikator lässt sich nicht so leicht fassen. Noch den Schein ihm fraglos gestatteter Eitelkeit erstickte er im gleichen Moment mit selbstironischen Spitzen. Und ob es immer Weidemanns Kreise waren, die sich formierten, oder ob sich die Menschen fanden und überrascht feststellten, dass auch Weidemann da war – wer mag das zu beurteilen?

Leben als Aufbruch

Leben war für Kurt Weidemann, der für die „Stuttgarter Nachrichten“ den in der Zeitungslandschaft wegweisenden Blockumbruch entwickelte, stetiger Aufbruch. 1950 zurück in Lübeck lernte er Schriftsetzer, 1953 wechselte er die Stadt und schärfte mit dem Studium der Buchgrafik und der Typografie an der Stuttgarter Kunstakademie auf dem Weißenhof seinen Weitblick. Weidemann und Stuttgart, das ist eine noch ungeschriebene Geschichte. Er kam und blieb. Schon das machte ihn einzig. Er blieb und warb für die Stadt – lustvoll und mit dem Bekenntnis zu Gegenwelten.

War es aber so? Hier die Wirtschaftskonzerne, dort das Engagement für eine Kultur am Rande und vom Rande, die wir, wie das Künstlerhaus Stuttgart (das er sieben Jahre mit verantwortete) und das Theaterhaus Stuttgart, heute als selbstverständlich etabliert sehen? Viel eher muss man davon sprechen, dass Kurt Weidemann bald schon die Kraft gespürt hat, freundschaftlich Korrektiv zu sein – für den Ministerpräsidenten Lothar Späth ebenso wie für Edzard Reuter in dessen Zeit als Vorstandschef von Daimler-Benz.

Lübeck prägt ihn

Auf seine Herkunft legte er Wert. Im ostpreußischen Eichmedien wird Weidemann am 15. Dezember 1922 geboren. Masuren bleibt ihm, der mit seiner Familie schon als Vierjähriger nach Lübeck zieht, ein prägender Eindruck. Das Selbstbewusstsein des Hansestädters ist auch später nicht zu leugnen, wichtiger aber ist die Offenheit, die Weidemann als Jugendlicher in Lübeck erlebt. Selbst lässt er sich, wie er später freimütig bekennt, von der Woge des Versprechens auf eine neue Zeit erfassen – bis hinein in die Schrecken des Kriegsfreiwilligen an der Ostfront.

Leitspruch von Kurt Weidemann Foto: Kurt Weidemann

Vor seinem 80. Geburtstag wagt Kurt Weidemann den Blick zurück. „Kaum Ich“ ist 2002 ein Buch betitelt, das die Feldtagebücher des 18-Jährigen versammelt. Es ist ein Buch mit doppeltem Boden. Es birgt Sätze, in denen das Wir das Ich verschlingt, anonymisiert, als Getriebenes in den Abgrund führt; und es beleuchtet eine Zeit, in der das doch so bekannte respektlose Denken Kurt Weidemanns zunächst nicht zu entdecken ist. Der junge Weidemann spricht von Ehre und Kameradschaft, malt sich buchstäblich seinen ersten Sturmangriff aus – und klammert sich schließlich als Kriegsgefangener an das tägliche Erstaunen des Überlebens. „Kaum Ich“ zeigt einen anderen Kurt Weidemann. Dass er seine Feldtagebücher, über die er hin und wieder sprach, tatsächlich veröffentlicht hat, deutet an, dass Weidemann das Jahrzehnt zwischen 1940 und 1950 nicht verloren geben wollte.

Der junge Weidemann? „Kaum ich“.

„Ich kann mich“, schrieb Weidemann in dem Buch, „zu dem, was aus mir gemacht wurde und was ich gedacht und gemacht habe, überrascht, erstaunt und manchmal beschämt bekennen. Es ist mein Leben. Naiver Idealismus und ein propagandistisch eingefärbter dürftiger Informationsstand verbunden mit dem Wunsch nach Bewährung reichten aus, um dieses Jahrzehnt zu überleben. Könnte man den Film dieses Jahrzehnts zurückdrehen: Ich müsste keinen Meter herausschneiden, kein Bild schwärzen. Es ist, wie es ist.“

Und so konterte Weidemann die erwartbaren Feierworte zu seinem 80. Geburtstag mit der Entscheidung, sich für sich zu entscheiden, das eigene Leben durch die Sichtbarmachung von Brüchen „rund“ zu bekommen: „Ich brauche keine Zustimmung, von keiner Seite“, heißt es in „Kaum Ich“.

Mitbeweger der Hochschule für Gestaltung

Steter Aufbruch – dies gilt auch für den Lehrer. Von 1965 bis 1985 Professor auf dem selbst gewählten Lehrstuhl für Information und Grafische Praxis an der Stuttgarter Kunstakademie, gründet Weidemann 1983 die Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar bei Koblenz mit, eines der ersten privat finanzierten Business-School-Projekte in Deutschland. Und er ist auch dabei, als Heinrich Klotz von 1991 an in der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe ein neues Miteinander von Kunst, Philosophie und Gestaltung forcierte.

Kurt Weidemann – König, Narr und Menschenfreund Foto: Thomas Hörner

Als „König und Narr – der Gestalter Kurt Weidemann“ haben ihn anlässlich des 85. Geburtstags ein Buch- und Filmprojekt gewürdigt. Der Narr machte indes stets ernst. Von der Höhe seines Arbeitsraumes in einem ehemaligen Stellwärterhaus in Stuttgart-West wie als Gast und Gastgeber bei selbst gesuchten Anlässen. Auch ein damaliger Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp schreckte ihn nicht. „Es gibt keine Eindeutigkeit – schon von der Haltung her“, sagte Weidemann einmal im Gespräch mit unserer Zeitung. „Und da komme ich noch einmal auf Mercedes. Wenn sie eine falsche Schraube einbauen, rufen sie 200 000 Autos zurück, dann aber verändern sie die Schrift in einer Weise, die an einem Totalschaden knapp vorbeigeht.“

König, Narr, Menschenfreund

Immer wieder ist Kurt Weidemann aufgebrochen. Eine Reise führte ihn 2011 zu einem Freund, zu dem Maler Jan Peter Tripp ins elsässische Schlettstadt. Von dort ist er nicht wiedergekommen. Er war der Mann mit dem Hut, der Mann mit der Pfeife, der Mann mit dem Bleistift, und der Mann, dessen Anrufbeantworter-Ansagen ein eigenes Kultbuch füllen würden. Der Mann, der überall zugleich zu sein schien und jederzeit bereit war, zu helfen. König und Narr war er sicher – und beides mit größter Lust. Vor allem aber: Menschenfreund. Und eben dies wird an diesem Donnerstag, an diesem 15. Dezember, an diesem 100. Geburtstag von Kurt Weidemann, im Stadtpalais spürbar werden.