Innige Liebe zur Natur zeigt etwa die Künstlerin Melanie Bonajo in ihren Filmen. Foto: Melanie Bonajo

Kann Kunst die Welt besser machen? Ja, das beweist die Ausstellung „1,5 Grad“ in der Kunsthalle Mannheim. Jetzt müssten nur noch die Museumsleute über den Tellerrand schauen.

Gewöhnlich wird Kunst im Atelier produziert. Wenn Peter Fend dagegen künstlerisch tätig wird, zieht er einen Taucheranzug an und fährt mit dem Boot aufs weite Meer hinaus. Bewaffnet mit einem Messer taucht er ab, um Riesentang zu ernten. Der US-amerikanische Konzept-Künstler erforscht Algen – und will helfen, Riesentang zur Energiegewinnung nutzbar zu machen. Er arbeitet an einer Methode, bei der die extrem schnell wachsende Pflanze nicht unter der Ernte leidet.

Kann Kunst etwas tun, damit die Welt nicht zugrunde geht?

In der Kunsthalle Mannheim kann man in einem Video von Peter Wend eine dieser Expeditionen unter Wasser verfolgen. Die neue Ausstellung „1,5 Grad“ beschäftigt sich mit den „Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik“, wie es etwas sperrig im Untertitel heißt. Konkret meint das Kunst, die nicht mehr zuschauen will, wie die Erde zugrunde geht. Hier sind Künstlerinnen und Künstler am Werk, die etwas ändern wollen – und bei aktivistischen Projekte oft auch selbst tätig werden.

Müll aus dem Neckar gefischt

So ist dieser große, orangefarbene Ballon in der Ausstellung zwar hübsch anzuschauen, hat aber eine handfeste Funktion. Das dänische Kollektiv Superflex hat solcherlei Ballons bereits an Orten des globalen Südens eingesetzt, wo sie als transportable Biogas-Anlagen fungieren. Hier wird Dung in Energie verwandelt.

Auch Tita Salina ist aktivistisch unterwegs. Die Künstlerin, die in Indonesien lebt, will unter anderem gegen die Vermüllung der Natur vorgehen. So sieht man sie in einem poetischen Video auf einem Floß aus Plastikmüll durchs endlose Wasser treiben. Sie hat aber auch in Mannheim Müll gesammelt. Die Kanister und Felgen, Deckel und Dosen, die nun in einem großen Fischernetz ausgestellt werden, sind nur die Ausbeute dessen, was an der Mannheimer Neckarspitze gesammelt wurde.

Wo Kunst und Wissenschaft zusammenspielen

Bei der vergangenen documenta fifteen in Kassel stand erstmals konsequent ein Kunstbegriff im Zentrum, bei dem Künstler nicht Artefakte schaffen, die sich auf dem Markt verkaufen und im Museum ausstellen lassen, sondern Kunst als gesellschaftliches Handeln verstehen. Auch Museen interessieren sich zunehmend für diese Kunstformen, richten den Fokus dabei aber häufig auf Konzepte zwischen Kunst und Wissenschaft.

Können Pflanzen Festplatten ersetzen?

Auch in der Kunsthalle Mannheim findet man einige Versuchsanordnungen, bei denen mit allerhand Medien, Zeichnungen und Technik Themen zwischen Fake und Realität verhandelt werden.

Susanne M. Winterling deutet in einer Science-Fiction-Installation einen Wüstenplanet an, Kyriaki Gonis fasziniert dagegen die Vorstellung, dass Pflanzen widerständige Datenspeicher sein könnten. Die Ergebnisse sind allerdings weder nutzbar noch ästhetisch interessant.

Niemand wird auf seine Waschmaschine verzichten wollen

Wann Bahzad Sulaiman ausrangierte Kühlschränke und Waschmaschinen zu einer gigantischen Skulptur stapelt, ist die Botschaft in jedem Fall unübersehbar. Diese meterhohe Wand aus Altgeräten kommt in einem Mehrfamilienhaus vermutlich in nur einem Jahr zusammen. Umgehend stellt sich ein schlechtes Gewissen ein, dass man ja selbst seinen Anteil an der Flut aus an Elektroschrott hat. Aber wird auch nur ein Museumsbesucher deshalb auf seine Spülmaschine verzichten?

Achtsamkeitsübungen für mehr Liebe zur Natur

Auch die Installation von Ernesto Neto, bei dem die Besucher Achtsamkeit üben und den Duft getrockneter Blätter riechen können, wirkt angesichts der globalen Probleme nachgerade naiv – und macht verständlich, warum eine jüngere Generation sich nicht mehr allein auf rein ästhetische Fragen mit Hintersinn kaprizieren will, sondern neue Wege geht.

Inhalte sind interessanter als Kategorien

Schade, dass es dem Direktor der Kunsthalle Mannheim Johan Holten und seinem Team in erster Linie darum ging, diese Projekte und Konzepte in Kategorien wie „Ressourcen“, „Lebewesen“ oder „Labor“ aufzuteilen. Auch wenn die Kunstwissenschaftler ihre wichtigste Aufgabe darin sehen mögen, Kunstwerke zu systematisieren, sind für das Publikum doch eher die Inhalte interessant. So wüssten man zum Beispiel gern mehr über die Arbeit der niederländischen Aktivistin und Filmemacherin Melanie Bonajo, die in einem Film auf die Zusammenhänge zwischen Hautfarbe und „Nahrungsapartheid“ hinweist. Sie stellt Aktivitäten vor, die dagegen vorgehen wollen, dass Menschen Diabetes bekommen, weil sie zu einer indigenen Volksgruppe gehören und deshalb eher Zugang zu Snacks und Süßigkeiten als zu Salat haben.

Auch die Kuratoren sollten die gesellschaftlichen Themen ernst nehmen

So zeigt „1,5 Grad“ durchaus spannende neue künstlerische Ansätze – macht aber auch deutlich, dass diese Kunstform andere Praktiken im Museum benötigt. Denn wenn diese neuen aktivistischen Ansätze brisante gesellschaftliche Themen verhandeln, sollten auch Kuratoren diese ernster nehmen – statt sich weiterhin nur auf kunstimmanente Fragestellungen zu kaprizieren.

Kunst in Zeiten des Klimawandels

BUGA
Die Ausstellung „1,5 Grad“ ist Teil der BUGA 23. Deshalb werden auch auf dem Areal der Bundesgartenschau Werke gezeigt, die auf die Landschaft reagieren.

Info
Ausstellung bis 8. Oktober, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr. adr