Für die Landeserstaufnahmestelle in Ellwangen suchen die Verantwortlichen immer noch nach einer Lösung. Foto: dpa/Stefan Puchner

Am Mittwoch lädt Winfried Kretschmann Vertreter aller gesellschaftlicher Kreise zum Gipfeltreffen ins Neue Schloss. Was könnte das Ergebnis sein?

Am Mittwoch lädt Ministerpräsident Winfried Kretschmann ins Neue Schloss nach Stuttgart. Am späten Nachmittag steigt dort der Flüchtlingsgipfel. Vor dem Hintergrund ständig steigender Flüchtlingszahlen nicht nur aus der Ukraine wollen die Teilnehmer über Fragen der Aufnahme, Unterbringung und Integration der Menschen sprechen.

Allein aus der Ukraine sind seit Kriegsbeginn knapp 140 000 Menschen nach Baden-Württemberg gekommen. In Deutschland leben momentan mehr als eine Million Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet. Nur Polen meldet aktuell noch mehr Geflüchtete. In ganz Frankreich wiederum sind bisher weniger Ukrainer gelandet als in ganz Baden-Württemberg. Die für die Flüchtlinge zuständige baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges hatte deshalb und weil, so die Ministerin, „alle Ebenen unserer Aufnahme- und Ausländerverwaltung am Rand ihrer Leistungsfähigkeit stehen“, einen Hilferuf in Richtung Berlin geschickt – und diesen mit heftiger Kritik an der Bundesregierung verbunden.

Kritik an der Flüchtlingspolitik im Land

Neben dem Mangel an Aufnahmekapazitäten komme, so Gentges, erschwerend hinzu, dass „es an probaten Mitteln fehle, Wanderungsbewegungen von Geflüchteten aus der Ukraine innerhalb der Europäischen Union effektiv nachvollziehen zu können“. Der Bund habe, so Gentges, eine Verantwortung gegenüber den Ländern und Kommunen. Er sei deshalb verpflichtet, auf europäischer Ebene dafür Sorge zu tragen, dass die in der Massenzustrom-Richtlinie zugesagte ausgewogene Verteilung der Belastung effektiv umgesetzt werde.

Diese Anmerkung weist die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter, zurück und kritisiert ihrerseits die Flüchtlingspolitik in Baden-Württemberg: „Während wir gerade in sozialen Berufen Fachkräfte dringend brauchen, schiebt Baden-Württemberg – etwa in Freiburg und in Stuttgart – diese ab, obwohl wir gerade das Chancenaufenthaltsgesetz auf den Weg bringen.“ Es sei höchste Zeit, „bisher geduldeten Menschen eine Chance zu eröffnen, ein Teil unserer Gesellschaft zu werden.“ Es gibt also viel Gesprächsbedarf.

Wie kann der Winter bewältigt werden?

Neben zahlreichen Ministern und Staatssekretären werden an dem Flüchtlingsgipfel unter anderen die Fraktionschefs der im Landtag vertretenen Parteien, der ukrainische Generalkonsul, die Regierungspräsidenten und die Chefs der kommunalen Landesverbände teilnehmen. Auch mehrere Oberbürgermeister, unter anderem die von Städten, in denen es Landeserstaufnahmestellen gibt, Vertreter der Wirtschaft, der Landeskirchen und der jüdischen Gemeinden, der freien Wohlfahrtspflege, des Landessportverbands, des Flüchtlingsrats und des Verbands deutscher Sinti und Roma sowie der Härtefallkommission sind geladen.

Daraus wird deutlich, dass die Landesregierung davon ausgeht, dass es nur mit Hilfe eines großen gesellschaftlichen Schulterschlusses gelingen wird, den anstehenden Winter mit möglicherweise noch einmal deutlich steigenden Flüchtlingszahlen zu meistern. Allzu hohe Erwartungen, dass der Flüchtlingsgipfel dabei konkrete Ergebnisse bringen wird, seien aber nicht angebracht. Das hat Winfried Kretschmann schon im Vorfeld deutlich gemacht. Vielmehr gehe es zunächst darum, alle Beteiligten „auf denselben Informationsstand zu bringen“.

Aus 2015 haben die Verantwortlichen viel gelernt

Dazu hat auch das Heidelberger Symposium Migration beigetragen, zu dem das Justizministerium in der vergangenen Woche zahlreiche Experten eingeladen hat. Unter der Fragestellung „Wiederholt sich 2015 doch?“ gab es viele unterschiedliche Ansätze und Positionen, aber auch eine gemeinsame Erkenntnis: Hätte man in der aktuellen Krise nicht auf den Erfahrungen der Flüchtlingskrise 2015/2016 und bereits existierende Strukturen aufbauen können, wäre das Ausmaß der Massenflucht aus der Ukraine schon länger und noch deutlich dramatischer zu spüren. Allerdings sei es ein Fehler gewesen, Kapazitäten etwa beim Wohnraumprogramm beim Abflauen der ersten Flüchtlingswelle abzubauen. In Zukunft müsse man sich dauerhaft auf weltweite Flüchtlingsströme einstellen – und diese nicht nur als Gefahr, sondern auch als Chance für das Land, aber auch für den Arbeitsmarkt sehen.

Immerhin wird ein Thema, das zuletzt noch heftig diskutiert worden war, nun höchstens noch eine untergeordnete Rolle spielen. Winfried Kretschmann zumindest ist froh, „dass wir einen Knopf an die Finanzierungsfrage gemacht haben“: Land und Kommunen hatten sich auf die Verteilung der Kosten für Flüchtlinge geeinigt: Das Land gibt 770 Millionen Euro für dieses und das nächste Jahr und reicht damit ungefähr 95 Prozent der jüngst aus Berlin zugesagten Gelder an die Städte und Gemeinden weiter.