Israel soll den Islamisten ein Ultimatum für ein Abkommen über eine Waffenruhe und Freilassung weiterer Geiseln gesetzt haben. Kommt es in Kairo nun zum Durchbruch?
Vor einer neuen Verhandlungsrunde im Gaza-Krieg hat die islamistische Hamas ein Einlenken signalisiert. Es gebe zwar noch Punkte zu besprechen und Klarstellungen zu treffen, insgesamt reise man aber mit einer „positiven Einstellung“ zu den indirekten Verhandlungen nach Kairo, um eine Einigung zu erzielen, hieß es am Freitagabend aus Hamas-Kreisen.
Eine Delegation werde am Samstag in der ägyptischen Hauptstadt eintreffen, bestätigte die Islamistenorganisation. Dort sollen die indirekten Verhandlungen über eine Freilassung von Geiseln und eine Waffenruhe laut Medien an diesem Wochenende fortgeführt werden. William Burns, Chef des US-Geheimdienstes CIA, sei bereits am Freitag in Kairo eingetroffen, berichtete das Nachrichtenportal „Axios“ unter Berufung auf drei mit dem Vorgang vertraute Quellen. Ein ranghoher israelischer Beamter dämpfte jedoch gegenüber der „Times of Israel“ Erwartungen, dass eine Einigung unmittelbar bevorstehe.
Israel mit Ultimatum für Hamas
„Auch wenn sich die Vermittler optimistisch äußern, hat Israel bisher nicht gehört, dass die Hamas bereit ist, von ihren Maximal-Positionen abzurücken“, wurde der Beamte am frühen Samstagmorgen zitiert. Der israelische Sender Kan berichtete unter Berufung auf eine palästinensische Quelle, die Delegation der Hamas werde eine Antwort auf den jüngsten Vorschlag für ein Abkommen in Kairo nicht vorlegen. Der Quelle zufolge wolle die Delegation die Verhandlungen fortsetzen. Zu ihren wichtigsten Forderungen zähle eine Garantie dafür, dass Israel im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln dem Ende des Krieges zustimmt.
Israel habe der Hamas eine Woche Zeit gegeben, um einem Abkommen über eine Waffenruhe zuzustimmen, sagten ägyptische Beamte, die mit der Angelegenheit vertraut seien, am Freitag dem „Wall Street Journal“. Anderenfalls werde Israel zur angekündigten Bodenoffensive auf die Stadt Rafah im Süden Gazas übergehen. Nach Informationen der Zeitung hatte Ägypten gemeinsam mit Israel einen überarbeiteten Vorschlag für eine Waffenruhe ausgearbeitet, den es der Hamas am vergangenen Wochenende vorgelegt habe.
Freilassung von Geiseln Gegenstand der Verhandlungen
Von der im Exil lebenden politischen Führung der Hamas sei erwartet worden, dass sie sich mit ihrem militärischen Flügel im Gazastreifen unter Führung von Jihia al-Sinwar berät und darauf reagiert, schrieb die Zeitung. Doch Sinwar, von dem vermutet wird, dass er sich in Tunneln der Hamas unter dem abgeriegelten Küstengebiet versteckt hält und die endgültigen Entscheidungen trifft, habe nicht geantwortet, hieß es. Daraufhin hätten ägyptische Beamte der Hamas am Donnerstag die Botschaft aus Israel überbracht. Dies würde bedeuten, dass die Hamas bis nächste Woche Zeit hätte, einem Abkommen zuzustimmen. Am Freitagabend verlautete aus Hamas-Kreisen, die Antwort werde „positiv“ ausfallen. Man sei entschlossen, ein Abkommen zu erzielen, das den Forderungen der Palästinenser gerecht werde, zitierte die „Times of Israel“ am frühen Samstagmorgen eine Erklärung der Terrororganisation.
Gegenstand der indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, bei denen Ägypten, Katar und die USA vermitteln, ist ein Vorschlag, der die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas sowie die Einstellung der Kampfhandlungen seitens Israels in mehreren Phasen vorsieht, berichtete das Nachrichtenportal „Axios“. Ähnliche Vorstöße waren in der Vergangenheit daran gescheitert, dass die Hamas die endgültige Beendigung des Krieges durch Israel zur Bedingung einer auch nur teilweisen Geiselfreilassung machte. Zuletzt hatten Beobachter angenommen, dass die Hamas auch diesen mehrstufigen Vermittlervorschlag ablehnen würde.
WHO warnt vor „Blutbad“ in Rafah
Ranghohe israelische Beamte wollen „Axios“ zufolge jedoch jetzt „erste Anzeichen“ dafür erkannt haben, dass die Islamisten der ersten Phase des Deals - der Freilassung von Frauen, Kindern, Älteren und Verletzten unter den Geiseln während einer zeitlich begrenzten Waffenruhe - zustimmen könnten, ohne wie bisher darauf zu beharren, dass sich Israel von vornherein zur Beendigung des Krieges verpflichtet. Israels Führung bestand von Anfang an auf einem mehrstufigen Abkommen, um sich die Option auf die Fortsetzung des Krieges vorzubehalten, falls es nach ersten Geiselfreilassungen und einer begrenzten Waffenruhe zu keinen weiteren Vereinbarungen käme. Zugleich würden die Islamisten ihren Preis für ein Nachgeben fordern. „Die Hamas (...) könnte die zu vereinbarende Zahl der Geiseln, die sie aus humanitären Gründen freilässt, senken und im Gegenzug die der freizulassenden palästinensischen Gefangenen (in israelischen Gefängnissen) erhöhen“, schrieb „Axios“.
Die israelische Regierung hatte einen raschen Beginn der Militäroffensive in Rafah im Süden Gazas angekündigt, sollte es nicht zu einer Einigung kommen. Verbündete wie die USA haben Israel wiederholt vor einem großangelegten Angriff auf Rafah gewarnt, weil dort laut der Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als 1,2 Millionen palästinensische Zivilisten Schutz suchen. Die an Ägypten grenzende Stadt gilt nach rund sieben Monaten Krieg als einzige in Gaza, die noch vergleichsweise intakt ist. Die WHO warnte vor den Folgen einer Offensive. Die Organisation sei zutiefst besorgt, dass eine großangelegte Militäroperation „zu einem Blutbad führen könnte“, teilte sie am Freitagabend auf X, ehemals Twitter, mit.
Vereinten Nationen erheben Vorwürfe gegen israelischen Zivilisten
Der stellvertretende UN-Sprecher Farhan Haq machte am Freitag unter Berufung auf das UN-Kinderhilfswerk besonders auf das Schicksal der rund 600 000 Kinder in der an Ägypten grenzenden Stadt aufmerksam. Fast alle von ihnen seien „entweder verletzt, krank, unterernährt, traumatisiert oder behindert“. Eine Offensive würde für sie eine weitere Katastrophe bedeuten, sagte Haq. Laut der WHO sind nur ein Drittel der 36 Krankenhäuser im gesamten Gazastreifen noch teilweise funktionsfähig. Drei davon befänden sich in Rafah.
Auslöser des Krieges war das Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres in Israel verübt hatten. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive in Gaza. Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen humanitären Lage steht Israel international in der Kritik. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde gab die Zahl der seit Kriegsbeginn in Gaza getöteten Menschen zuletzt mit 34 596 an. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Bewaffneten und lässt sich unabhängig kaum überprüfen.
Die Vereinten Nationen haben unterdessen israelischen Zivilisten vorgeworfen, für den Gazastreifen bestimmte Hilfsgüter aus Jordanien mutwillig beschädigt zu haben. Der Konvoi habe Lebensmittelpakete, darunter Zucker, Reis, Zusatznahrung und Milchpulver befördert, sagte Haq. Eine begrenzte Menge davon sei am Donnerstag auf der Fahrt durch das Westjordanland von israelischen Zivilisten entladen und beschädigt worden. Auf weitere Hilfslieferungen aus Jordanien werde dieser Vorfall zunächst keine Auswirkungen haben. Die Hilfsgüter seien inzwischen in Gaza angekommen und würden wie geplant verteilt, hieß es.