Winfried Kretschmann kritisiert offen auch Annalena Baerbock. Foto: dpa/Susannah Ireland

Ministerpräsident Kretschmann rechnet mit der Grünen-Spitze ab. Für die Partei geht es ums Grundsätzliche, kommentiert Thorsten Knuf.

Stuttgart - Das ist schon starker Tobak. „Krachend gescheitert“ seien die Grünen bei der Bundestagswahl, sagt Winfried Kretschmann, der einzige grüne Ministerpräsident der Republik. Er beklagt, dass die Ökopartei beim Urnengang ihr Wählerpotenzial bei weitem nicht ausgeschöpft hat.

Nicht einmal 15 Prozent der Stimmen fuhr sie ein, obwohl sie zuvor in Umfragen zeitweise jenseits der 20-Prozent-Marke gelegen hatte. Kretschmann macht dafür auch die Kanzlerkandidatin und Parteichefin Annalena Baerbock verantwortlich: „Wenn Sie das höchste Amt anstreben, müssen Sie nicht nur für Ihre eigene Anhängerschaft ein Angebot machen, sondern für alle.“

In solch einer Situation sollte die Partei eigentlich ein Bild der Geschlossenheit abgeben

Heftig sind die Einlassungen von Winfried Kretschmann nicht deshalb, weil sie falsch oder überspitzt wären. Sondern weil Kretschmann seinen Unmut in der Öffentlichkeit artikuliert, während einer Auslandsreise sogar, noch während in Berlin die Verhandlungen zur Bildung einer Ampel-Koalition laufen. In solch einer Situation sollte die Partei eigentlich ein Bild der Geschlossenheit abgeben. Tut sie aber nicht.

Richtig ist, dass für die Grünen bei der Bundestagswahl deutlich mehr drin gewesen wäre. Ihrem Wahlkampf fehlte der Wumms, Baerbock hätte sich niemals aufgrund von Plagiaten oder einem aufgehübschten Lebenslauf angreifbar machen dürfen. Vielleicht wäre der regierungserfahrene Robert Habeck der bessere Kandidat gewesen.

Die Grünen wollten das Kanzleramt erobern und kamen nur als Dritte durchs Ziel. Nach Lage der Dinge werden sie die Nummer zwei in einer Koalition mit SPD und FDP. Eine Regierungsbeteiligung kann darüber hinwegtrösten, am eigenen Anspruch gescheitert zu sein. Sie kann aber auch dazu verleiten, aus Fehlern nichts zu lernen.

Wenn Kretschmann nun mit Teilen seiner Parteiführung abrechnet, spricht daraus Verbitterung

Lange, bevor der Wahlkampf richtig Fahrt aufnahm, hatten die Grünen unter Führung von Habeck und Baerbock ein strategisches Ziel formuliert: Sie wollten sich im Bund dauerhaft als führende Kraft der linken Mitte etablieren – also die traditionelle Rolle der SPD im Parteiensystem übernehmen. So wie in Baden-Württemberg, wo die Grünen gleichermaßen bei Klima-Aktivisten, Studenten, Autowerkern, Bauern, Angestellten und Unternehmern anschlussfähig sind.

Als dieses Ziel formuliert wurde, siechten die Sozialdemokraten dahin. Niemand glaubte damals noch, dass der nächste Kanzler ein Sozi sein könnte.

Wenn Kretschmann nun mit Teilen seiner Parteiführung abrechnet, spricht daraus Verbitterung: Das Projekt einer sozial-ökologischen Volkspartei, die weit in die Mitte der Gesellschaft ausgreift, dürfte im Bund zum Erliegen gekommen sein. Es wiederzubeleben verlangt, den künftigen Kanzler Olaf Scholz herauszufordern.