Unruhen in Lima, Peru, am 3. Januar: Eine Frau wird verhaftet, nachdem sie rote Farbe auf Polizisten geworfen hat. Foto: imago/Carlos Garcia Granthon

Unruhen in Bolivien und Peru, Rückschritte beim Friedensprozess in Kolumbien: Brasilien ist nicht das einzige südamerikanische Land, in dem es derzeit brodelt. Auch in den drei Andenstaaten droht Instabilität.

In Bolivien und Peru beginnt das neue Jahr unruhig, in Kolumbien erlaubt der Präsident wieder Militäroperationen gegen eine der wichtigsten bewaffneten Gruppen. Was geht in den drei lateinamerikanischen Ländern vor sich?

Es war ein Paukenschlag: Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro elektrisierte zum Jahresbeginn mit einem Twitter-Tweet die Öffentlichkeit. Der ehemalige Guerillero kündigte einen Waffenstillstand mit den wichtigsten bewaffneten Gruppen, darunter auch die marxistische ELN-Guerilla an. Die Freude war ebenso groß wie das Lob von allen Seiten. Doch inzwischen herrscht nach dem Silvesterknaller Katerstimmung. Denn die ELN-Guerilla wusste nach eigenen Angaben davon nichts, oder zumindest nicht so wie es Petro verkündete. Inzwischen kommt es noch dicker. Am Dienstag ließ Petro verlauten, dass es ab sofort wieder Militäroperationen gegen die ELN erlaubt seien. Vom gefeierten sechsmonatigen Waffenstillstand zurück zum Krieg in nur wenigen Tagen.

Für Petro ist das ein Kommunikationsdebakel. Das Magazin „Cambio“ kritisiert den Präsidenten deshalb scharf: „Der Frieden wird nicht auf Twitter ausgehandelt.“ Noch ist allerdings nichts verloren. Der Präsident, gerade erst fünf Monate im Amt, wird seine Lektion gelernt haben. Wenn beide Seiten wollen, wird es eine Lösung geben. Es steht allerdings zu befürchten, dass bei möglichen neuen Kämpfen zunächst einmal vor allem die Zivilbevölkerung leiden wird.

Bei Unruhen in Peru starben bereits 40 Menschen

In Peru bezahlt sie bereits den Preis. Nach der Abwahl des mutmaßlich korrupten marxistischen Präsidenten Pedro Castillo vor einigen Wochen ist das Land ein Pulverfass geworden. Castillo hatte versucht, eine Abstimmung über einen Misstrauensantrag gegen ihn zu verhindern, in dem er den Kongress unmittelbar davor auflösen wollte. Der Taschenspielertrick ging schief, das Parlament wählte Castillo ab, er sitzt nun in Untersuchungshaft (Ermittlungen wegen eines Putschversuchs).

Castillos Nachfolgerin Dina Boluarte, zuvor Vizepräsidentin, ist ebenfalls bereits gescheitert. Denn seit Dezember kamen bei Unruhen rund 40 Menschen ums Leben. Beide Seiten – Polizei und Demonstranten – gehen mit brutaler Härte aufeinander los und haben Opfer zu beklagen. Das hält auf Dauer keine demokratische Regierung aus. So richtig die Abwahl Castillos durch den Kongress auch war: Der durch die Hintertür eines Misstrauensvotums an die Macht gekommenen Boluarte fehlt die überzeugende demokratische Legitimation für eine Amtszeit, die über die Organisation von Neuwahlen hinausgeht.

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen Boluarte eingeleitet. Es werde geprüft, ob sie sich des Völkermordes, des Mordes und der schweren Körperverletzung strafbar gemacht habe, teilte die Behörde in der Nacht auf Mittwoch (Ortszeit) mit. Auch gegen Kabinettschef Alberto Otárola, Innenminister Víctor Rojas und Verteidigungsminister Jorge Chávez wurden demnach Vorermittlungen aufgenommen.

Im Nachbarland Bolivien indes hat sich der indigene Ex-Präsident Evo Morales nach peruanischer Lesart in die inneren Angelegenheiten des Nachbarlandes eingemischt und wurde in Lima zur unerwünschten Person erklärt. Morales kann das verschmerzen. Der innerparteiliche Kampf mit seinen Parteifreunden der sozialistischen Regierungspartei MAS und Präsident Luis Arce dürfte ihm hingegen zusetzen. Die beiden Alphatiere liefern sich einen Machtkampf, der es in sich hat und die Partei vor eine derartige Zerreißprobe stellt, dass auch mal die Stühle fliegen.

Seit 2016 gibt es ein vergiftetes innenpolitisches Klima – alles begann damit, dass Morales eine Wahlniederlage bei einem Referendum über eine Amtszeitbegrenzung nicht akzeptierte und seine eigentlich vom Volk abgelehnte Kandidatur auf juristischem Wege durchsetzte. 2019 folgten umstrittene Wahlen mit Vorwürfen des Wahlbetrugs. Morales trat zurück, floh und kehrte zurück, nachdem sich bei den von der konservativen Interimspräsidentin Jeannine Anez trotz Pandemie organisierten transparenten Neuwahlen die Sozialisten die Macht zurückgeholt hatten. Dann steckten sie Anez ins Gefängnis. Dorthin soll nun nach Willen der national regierenden Sozialisten auch der jüngst festgenommene rechte Gouverneur Luis Fernando Camacho aus der Oppositionshochburg Santa Cruz. Ihm wird (wie Anez) ein Putschversuch und Aufruf zur Gewalt vorgeworfen.

Nun gibt Proteste für und gegen Camaco. All das wäre wohl nie passiert, hätte Morales – einer der bis dato erfolgreichsten lateinamerikanischen Präsidenten dieses Jahrhunderts – die Wahlniederlage 2016 akzeptiert und einem Nachfolger aus den eigenen Reihen Platz gemacht.