Sekt frei Haus: In Ehningen gibt der Bürgermeister trotz Corona einen aus. Foto: dpa

Aufgelesen im Kreis: Süßes und Saures. Diese Woche wird deutlich, dass sich Amtsblätter in Pandemiezeiten zu Lebensratgebern wandeln. Die Verwaltungen empfehlen Spaziergänge, versichern, dass der Advent nicht ausfällt, und geben sogar einen aus. .

Ehningen - Manche Bürgermeister haben die Zeichen der Zeit nach wie vor nicht erkannt. „Zukunftsfragen bei der Kläranlage“ titelte beispielsweise die Gemeinde Grafenau diese Woche auf ihrem Amtsblatt. „Mit 10 000 Einwohnerwerten befindet sie sich an der Kapazitätsgrenze“, heißt es in dem Bericht. Dass der Ort vor Pflichtgefühl, Anstand und Nächstenliebe überquillt, wäre eine schöne, jedoch grobe Fehlinterpretation des Problems, das mit dem zweideutigen Fachbegriff gekonnt kaschiert wird. Dabei haben die Bürger doch schon genug mit harten Fakten zu kämpfen!

Rathäuser geben Ratschläge

Andere Rathäuser nehmen mittlerweile ihren Namen beim Wort und geben der Bevölkerung lieber hilfreiche Tipps. „Herbstspaziergang“ lautete kürzlich die Überschrift über den Aidlinger Nachrichten. Es fehlten nur noch ein paar Diättipps und schon könnte es das Heft in puncto Hobbypsychologie mit jeder Frauenzeitschrift aufnehmen: „Gerade in dieser besonderen Zeit des Lockdowns ist Bewegung an der frischen Luft eine willkommene und bereichernde Abwechslung!“ Unter die Lebenshilfe waren Bilder von grünen Bäumen platziert, die mit Sicherheit Hoffnung symbolisieren sollten.

In Dagersheim greift die Ortsvorsteherin Alessandra Hütter einen ähnlichen Tonfall auf. Sie zeigt sich in ihrem Adventsgruß zunächst traurig darüber, dass der örtliche Weihnachtsmarkt gestrichen wurde. „Doch eines ist sicher“, schreibt sie aufmunternd, „die Adventszeit fällt in diesem ungewöhnlichen Jahr trotz allem nicht aus.“ Schließlich hätten die Dagersheimer durchaus auf diese Idee kommen können angesichts ständig neuer Corona-Verordnungen. Alessandra Hütter kann der aktuellen Situation sogar noch mehr Gutes abgewinnen: „Die Möglichkeit, einmal ohne Stress und Hast die Adventszeit zu genießen.“ Der Schnee auf dem Bild von der Kirche des Böblinger Stadtteils soll vermutlich als ein weiterer Hoffnungsschimmer dienen.

Eine gute Nachricht für Schönaich

Mehr Gefühl für konkret positive Nachrichten zeigt Schönaich. „Die Datenautobahn kommt“, klingt doch fast so vielversprechend wie die frohe Botschaft und vermittelt im Teil-Lockdown wenigstens eine virtuelle Anbindung an den Rest der Welt. Diese Art von Zuverlässigkeit steht garantiert weit oben auf der Liste der Einwohnerwerte. Dass die Bauarbeiten dafür erst im kommenden Jahr anfangen, ist erst im Inneren des Heftes nachzulesen. Und so genau werden es die meisten Schönaicher sowieso nicht wissen wollen.

Am pragmatischsten kümmert sich Lukas Rosengrün um das Wohlergehen seiner Bürger. Der neu gewählte Ehninger Bürgermeister punktet mit frischen Ideen auf dem Mitteilungsblatt. „Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Lösungen“, erklärte er auf der ersten Seite. Aus dem Neujahrsempfang machte er kurzerhand eine Neujahrsansprache, die gleich am 1. Januar im Internet abrufbar ist. Dass der Mann Mitglied bei der SPD ist und sich beim Politikmachen an der Bundeskanzlerin Angela Merkel orientiert, könnte die Ehninger im ersten Moment etwas beunruhigen. Ein Genosse von ihm aus einer ähnlich großen Kleinstadt hat schließlich gerade eben erst mit frischen Ideen versucht, Oberbürgermeister von Stuttgart zu werden.

Wieder ein ambitionierter SPD-Jungpolitiker

Vielleicht aus diesem Grund spendet Lukas Rosengrün seinen Einwohnern zum 1. Januar nicht nur tröstende Worte wie die Dagersheimer Ortsvorsteherin, sondern auch einen Stimmungsaufheller. Er lässt sogar die Korken knallen: „Um etwas Geselligkeit trotz der räumlichen Trennung zu erleben, möchten wir mit Ihnen gemeinsam anstoßen“, heißt es im Mitteilungsblatt. Nicht einmal ein Kreuzworträtsel muss dafür gelöst werden, der Prozess ist nur etwas bürokratischer als bei einer Frauenzeitschrift: Wer mindestens 16 Jahre alt ist, ein Formular ausfüllt und es bis 13. Dezember abgibt, bekommt eine Flasche vom „Ehninger Sektle“ frei Haus geliefert. Mit dem Piccolo kann sich zwar niemand aus der aktuellen Corona-Realität wegbeamen, aber er wirkt definitiv aufheiternder als ein Herbstspaziergang oder die Zukunftsfragen zur Kläranlage.