Der mehrfach vorbestrafte Itamar Ben-Gvir soll Minister für nationale Sicherheit werden. Bei einer Justizreform zögert Netanjahu noch. Ein anderes Zugeständnis macht er gegen seine eigene Überzeugung.
Israel bekommt eine neue Regierung – und sie steht weiter rechts als jede vorherige in der Geschichte des Landes. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, nur 20 Minuten vor Ablauf der Frist, teilte der frühere und zukünftige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem Staatspräsidenten Yitzhak Herzog mit, dass ihm die Koalitionsbildung gelungen sei. Bis zum 2. Januar muss die neue Regierung vereidigt werden.
Bis dahin dürfte weiter intensiv verhandelt werden, denn noch gibt es keinen Koalitionsvertrag, nur vorläufige Einigungen. Neben der konservativen Likudpartei Netanjahus besteht das Bündnis aus zwei ultraorthodoxen Kräften sowie dem Parteienbündnis Religiöser Zionismus, das nach der Wahl Anfang November wieder in seine drei ursprünglichen Kräfte zerfallen ist. Die radikalste von ihnen ist die Jüdische Stärke, angeführt von dem rechtsextremen und mehrfach vorbestraften Itamar Ben-Gvir, der nun Minister für nationale Sicherheit werden soll. Zudem forderte er die Hoheit über die Grenzpolizei im Westjordanland, die bislang der Armeeführung untersteht, sowie erweiterte Befugnisse, um Richtlinien und Prioritäten der nationalen Polizei zu beeinflussen. Trotz Warnungen früherer Vertreter aus Militär und Polizei gab Netanjahu nach.
Die Zugeständnisse überraschen
Und nicht nur Ben-Gvir gegenüber machte er weitreichende Zugeständnisse, die Analysten überraschten und Parteifreunde verärgert haben sollen. Der Vorsitzende des Religiösen Zionismus, Bezalel Smotrich, wie Ben-Gvir ein ideologischer Unterstützer der umstrittenen israelischen Siedlungen im Westjordanland, soll offenbar Finanzminister werden; zudem soll auf sein Drängen hin die Autorität über zivile Angelegenheiten in den Siedlungen, die bislang militärische Behörden innehatten, auf diverse Ministerien übertragen werden. Kritiker sehen darin eine De-Facto-Annektierung der Siedlungen. Denn während die bisherige Regelung der Tatsache Rechnung trug, dass Israel das Westjordanland militärisch kontrolliert, würde der geplante Schritt die Siedlungen mit israelischem Territorium gleichstellen. In jedem Fall dürften die Maßnahmen den Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern weiter erschweren, wenn nicht gänzlich verbauen.
Überdies fordern Ben-Gvir und Smotrich weitreichende Justizreformen: Unter anderem wollen sie die Autorität des Obersten Gerichtshofes aushebeln, vom Parlament beschlossene Gesetze auf ihre Kompatibilität mit Israels Grundgesetzen zu prüfen. Kritiker sehen darin einen Angriff auf die Gewaltenteilung des Landes. Selbst Netanjahu soll Berichten zufolge noch zögern, einer derart tief greifenden Reform zuzustimmen.
Die Ultraorthodoxen setzen sich durch
Die Verhandlungen mit den ultraorthodoxen Parteien scheinen einfacher verlaufen zu sein – weil Netanjahu schnell zwei Forderungen erfüllte: mehr Geld für religiöse Schulen, die keine säkularen Inhalte lehren, sowie für ultraorthodoxe Männer, die ihr Leben dem Religionsstudium widmen. Dies halten Ökonomen für fatal, weil so die drängende Aufgabe, die rasch wachsende ultraorthodoxe Minderheit in den Arbeitsmarkt zu integrieren, erschwert wird. Seltsamerweise scheint Netanjahu trotz seiner Versprechen diese Ansicht zu teilen. Er selbst habe als Finanzminister Anfang des Jahrtausends Israels „üppiges Wohlfahrtssystem“ beschneiden müssen, um die Ultraorthodoxen in den Arbeitsmarkt zu drängen, sagte er in einem Interview mit dem kanadischen Psychologen und Autor Jordan Peterson. „Sie arbeiteten nicht“, fuhr er fort, „sie hatten einfach viele Kinder, für die der Privatsektor zahlen musste“. Yair Lapid, Israels scheidender liberaler Regierungschef, teilte einen Ausschnitt des Videos auf Twitter und schrieb: „Dieses Mal stimme ich Netanjahu zu.“
Kritiker des künftigen Ministerpräsidenten vermuten, dass dessen Einlenken nicht zuletzt persönlichen Interessen entspringt: Als Regierungschef könnte es Netanjahu leichter fallen, sich dem gegen ihn laufenden Korruptionsprozess zu entledigen.