Der Betrieb von Kernkraftwerken wie hier im belgischen Tihange ist höchst umstritten. Dennoch könnte Atomkraft in der EU bald als „nachhaltig“ eingestuft werden. Doch im Europaparlament formiert sich Widerstand. Foto: dpa/Rainer Jensen

Kernenergie soll in der EU als „grüne Energie“ eingestuft werden. Doch der Widerstand im Europaparlament wird immer größer.

Der Politikbetrieb in Brüssel kommt nie zur Ruhe. Selbst wenn über der Stadt eine gewisse Feiertagslähmung liegt, herrscht hinter den Kulissen ein stetes Treiben. Politiker verschicken Stellungnahmen, anstehende Abstimmungen werden vorbereitet und die dafür nötigen Allianzen geschmiedet. Besonders aktiv sind in diesen Tagen die Politiker der Grünen. Der Grund sind die Entscheidungen im Europaparlament über die Frage, ob Atomkraft und Gas in Europa als klimafreundliche Energien eingestuft werden. Für Umweltschützer ist das eine Art Horrorszenario, das sie verhindern wollen.

Europa will klimaneutral werden

Der Hintergrund ist, dass die EU-Kommission unter Präsidentin Ursula beide Energiequellen in die sogenannte Taxonomie aufnehmen will. Auf diese Weise soll die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Die Aufnahme von Atom und Gas kommt einer Empfehlung an die Finanzmärkte gleich, in solche Anlagen zu investieren. Umweltschützer befürchten, dass dies zulasten des Ausbaus erneuerbarer Energieformen wie Wind und Sonne geht.

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„Die EU-Kommission hat sich verrannt“, erklärt dazu Michael Bloss von den Grünen. „Atomkraft und Erdgas durch die Hintertür als grün deklarieren zu wollen und dabei die Öffentlichkeit außen vor zu lassen, können wir nicht akzeptieren.“ Die Öffentlichkeit ist in diesem Fall das Parlament. Denn dort formiert sich massiver Widerstand gegen die Taxonomie. Die Ablehnung zieht sich durch alle Fraktionen. Auch der CDU-Politiker Peter Liese äußert massive Zweifel.

Ablehnung quer durch die Fraktionen

„Der Unmut über die großzügigen Regelungen für Kernkraft ist groß, auch in Teilen der EVP“, bemerkte jüngst der umweltpolitische Sprecher der mächtigsten und vergleichsweise atom- und gasfreundlichen konservativen Fraktion. Er selbst würde nicht „sehr viel Geld darauf setzen“, dass die Taxonomie nicht doch noch im Parlament scheitert. Geplant ist, dass in den kommenden Tagen im Umweltausschuss und dann Anfang Juli im gesamten Parlament abgestimmt wird. Michael Bloss befindet sich seit Monaten auf der eifrigen Suche, um die notwendigen 353 Stimmen für die erhoffte Ablehnung zusammenzusammeln.

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Stark gemacht für die Atomkraft hat sich vor allem Frankreich. Präsident Emmanuel Macron hält die Atomenergie für unerlässlich, um die Klimaziele der EU zu erreichen. Die Atommacht Frankreich bezieht derzeit rund 70 Prozent ihres Stroms aus Kernkraftwerken, das ist der höchste Anteil weltweit. Aber auch Polen und weitere östliche EU-Staaten wollen neue Atomkraftwerke bauen, um ihre stark von Kohle abhängigen Volkswirtschaften nachhaltiger zu gestalten.

Paris macht sich für Atomkraft stark

Frankreich kommt bei der Argumentation für die Atomkraft allerdings immer stärker in Not. Denn von den insgesamt 56 Anlagen im Land ist über die Hälfte wegen Wartungsarbeiten oder Schäden nicht am Netz. Im Sommer wird darüber hinaus erwartet, dass wie in den vergangenen Jahren einige Meiler wegen des fehlenden Kühlwassers die Leistung vermindern müssen und Strom aus dem Ausland importiert werden muss.

Die Unterstützung für Gas als sichere Energiequelle hat sich inzwischen weitgehende erledigt. Vor allem Deutschland unter der damaligen Kanzlerin Merkel hatte sich für dessen Aufnahme in die Taxonomie sehr offen gezeigt. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat Russland hier allerdings neue Fakten geschaffen und die Abkehr vom Gas beschleunigt.