Demo am Rottenburger Dom Foto: privat

Hunderte von Gläubigen fordern in Rottenburg weitreichende Reformen und eine große Kirchenversammlung. Bischof Gebhard Fürst zeigt sich offen.

Die gute Laune von Wolfgang Kramer irritiert. Gerade führt eine Präsentation auf der Bühne der voll besetzten Rottenburger Festhalle den desolaten Zustand der katholischen Glaubensgemeinschaft vor Augen: „Die Kirchen leeren sich, Austritte nehmen zu, ein ehemaliger Papst sagt die Unwahrheit, der Priestermangel verschärft sich,“ ist dort zu lesen. Da müsste einem leidenschaftlichen Seelsorger wie Kramer doch zum Heulen zu Mute sein. Der 73-Jährige strahlt aber eine fröhliche Zuversicht aus. „Ich glaube an den Heiligen Geist, und der weht auch in der Kirche“, sagt er. Die Dinge könnten sich ändern: „Ein halbes Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer hat auch niemand geglaubt, dass dies geschieht.“

Sein Optimismus wird dadurch befeuert, dass Kramer am Samstag unter rund 350 Katholikinnen und Katholiken sitzt, die Reformen wollen. Sie sind aus allen Dekanaten der Diözese zu einem „Konzil von unten“ in die Bischofsstadt gekommen. Kramer gehört zu den Mitinitiatoren der Versammlung. Die haben über Jahre das Treffen vorbereitet. Alle Kirchengemeinden in der Diözese wurden angeschrieben, Vorschläge zwischen Gruppen und Verbänden wurden ausgetauscht, Unterschriften gesammelt, Treffen in Stuttgart, Heilbronn und Ravensburg abgehalten, und wegen Corona gab es eine digitale Auftaktveranstaltung.

„Es ist erfreulich, dass so viele Leute gekommen sind“, sagt Martin Schockenhoff, einer der Organisatoren. Wie der „Wortgottesdienstleiter aus Ludwigsburg“ sind viele Christen in der Festhalle überzeugt, die katholische Kirche steuere auf „einen Kipppunkt“ zu: auf einen Moment, ab dem – ähnlich wie beim Klima – nichts mehr zu retten sei; es gelte gegenzusteuern. Daher bringen sie fünf Stunden lang Argumente vor und berichten von der Stimmung der Basis.

In den Gemeinden macht sich Mutlosigkeit breit

Von zunehmender Resignation unter den engagierten Katholiken erzählt etwa Marlene Schiebel aus Echterdingen. Früher habe sie Frauen für die Bewegung Maria 2.0 „rekrutiert“, die sich für die völlige Gleichberechtigung in der Kirche einsetzt. Das werde jetzt weniger, sagt die Gemeindereferentin. Auch im Kirchengemeinderat beobachte sie „Mutlosigkeit und Desinteresse“, weil der Einsatz für Reformen bisher so wenig gebracht habe. Die Pastoralreferentin Silke Weihing hat sich sogar schon gefragt, ob sie in der Kirche bleiben soll. „Ich fühle mich zur Priesterin berufen, darf es aber nicht werden“, klagt die Frau aus Schwäbisch Gmünd. Dafür gebe es keinen rationalen Grund, betont sie und meint, fachlich mit männlichen Priestern mitzuhalten. Die negativen Folgen des Reformstaus spürt auch Gerburg Crone jeden Tag. Noch immer seien Priester zur Ehelosigkeit verpflichtet, gebe es keine Kultur des Redens über Sexualität in der Kirche, sagt die Leiterin der „Stabsstelle Schutz vor sexuellem Missbrauch“ bei der Caritas: „Wenn es so weiter geht, wird Kirche ein Auslaufmodell.“

Niemand formuliert in der Festhalle abweichende Auffassungen. So nimmt es nicht wunder, dass das „Rottenburger Manifest“ mit sieben Forderungen eine überwältigende Mehrheit findet. Ganz oben steht das Verlangen nach einem weltweiten Konzil, das – anders als der „Synodale Weg“ in Deutschland – auch über Reformen in der Weltkirche entscheiden kann. Die anderen Forderungen sind die bekannten nach Demokratie, Gleichberechtigung, einer neuen Sexualmoral, mehr Ökumene, dem Ende des Pflichtzölibats und einer zeitgemäßen Verkündigung.

Der Rottenburger Bischof steht unter Druck

Kurz nach der Abstimmung ist auch Bischof Gebhard Fürst im Saal. Erst gab es Zweifel, ob der 73-Jährige kommt, um das Manifest entgegenzunehmen. Schließlich steht er unter Druck, seit bekannt wurde, dass Fürst wohl zu den Bischöfen zählt, die beim Synodalen Weg einem Grundlagentext zur Sexualmoral die Zustimmung verweigert und so für dessen Scheitern gesorgt haben. Doch der Theologe wird mit freundlichem Applaus empfangen und reagiert geschickt auf die Anliegen. Er unterstützt den Wunsch nach einem Konzil, betont, dass im Bistum die Basis schon vorbildlich beteiligt werde und er macht einen Nebenkriegsschauplatz auf, indem er mehr Einsatz für den Klimaschutz anmahnt. „Er hat gesagt, was er immer sagt“, meint Mitorganisator Schockenhoff später. Ein wenig klingt das enttäuscht.