Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan (Mitte) im Gespräch mit einem Offizier der armenischen Armee. Foto: dpa/AP/Tigran Mehrabyan

Die beiden Länder Armenien und Aserbaidschan tragen seit Jahrzehnten einen Konflikt aus. Nun wurden armenische Städte angegriffen. Was ist der Hintergrund der Feindschaft? Und könnten sich die Kämpfe ausweiten? Ein Überblick.

Fast zwei Jahre lang war es einigermaßen ruhig geblieben zwischen Armenien und Aserbaidschan. Doch nun sind im Kaukasus wieder schwere Kämpfe ausgebrochen. Das armenische Verteidigungsministerium teilte in der Nacht zum Dienstag mit, aserbaidschanische Truppen hätten an drei Stellen armenische Stellungen mit Artillerie und großkalibrigen Waffen angegriffen. Offiziellen Angaben zufolge sind auf armenischer Seite bereits mindestens 49 Soldaten getötet worden. Es gebe weiter vereinzelt aserbaidschanische Angriffe, sagte der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan am Dienstagmorgen in der Hauptstadt Eriwan.

Wie kam es zu den neuen Auseinandersetzungen?

Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan telefonierte in der Nacht zu Dienstag nach Angaben seiner Regierung mit dem Präsidenten der Schutzmacht Russland, Wladimir Putin. Paschinjan sprach von einem aserbaidschanischen Angriff, auf den es eine internationale Reaktion geben müsse. Er und Putin vereinbarten demnach, in Kontakt zu bleiben. Der armenische Regierungschef alarmierte außerdem Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, wie Medien in Eriwan berichteten.

In Baku sprach das Verteidigungsministerium Aserbaidschans wiederum davon, dass ein groß angelegter armenischer Sabotageversuch die Kämpfe ausgelöst habe. „Die gesamte Verantwortung für die Situation liegt bei der militärisch-politischen Führung Armeniens“, hieß es aus Aserbaidschan. Was letztlich zum Aufflammen des Konflikts geführt hat, ist also unklar.

Geht es auch dieses Mal um die Region Berg-Karabach?

Die früheren Sowjetrepubliken bekriegen einander seit Jahrzehnten – meist geht es dabei um das Gebiet Berg-Karabach. Das umstrittene Gebiet gehört zu Aserbaidschan, wird aber von Armeniern bewohnt. Zuletzt hatte es dort ab September 2020 schwere militärische Auseinandersetzungen gegeben mit Tausenden Toten, die Rede war damals von einem „zweiten Karabach-Krieg“. Allerdings wurde nach armenischen Angaben dieses Mal nicht die Exklave angegriffen, die Attacken trafen demnach Stellungen bei den Städten Goris, Sotk und Dschermuk. Diese liegen auf dem Gebiet Armeniens.

Wie begann der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan?

Um die Auseinandersetzung einordnen zu können, ist es wichtig, die Vorgeschichte und die Hintergründe des Konflikts zu kennen. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) strebte die überwiegend von Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach in der Zerfallsperiode der Sowjetunion die Trennung von der Sowjetrepublik Aserbaidschan an – und erklärte sich 1991 für unabhängig. „In der Folge ging der innerstaatliche ethno-territoriale Konflikt in einen regelrechten Krieg zwischen den unabhängig gewordenen Staaten Armenien und Aserbaidschan über“, schreibt der Kaukasus-Experte Uwe Halbach in einer Analyse für die bpb. Demnach forderte der Konflikt damals schätzungsweise bis zu 30 000 Todesopfer, zudem habe er die größte Fluchtbewegung im Südkaukasus ausgelöst.

In dem Krieg, der zwischen 1992 und 1994 stattfand, sicherten sich die armenischen Kräfte die Kontrolle über das Gebiet Berg-Karabach und besetzten weitere Gebiete in Aserbaidschan. Danach gab es einen brüchigen Waffenstillstand, vermittelt von der sogenannten „Minsker Gruppe“ der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), zu der auch Russland gehört.

Wie waren die Entwicklungen in den vergangenen Jahren?

Im Herbst 2020 gewann Aserbaidschan seine Gebiete in neuen Kampfhandlungen zurück – und eroberte strategisch wichtige Stellen in Berg-Karabach. Vor allem das wirtschaftlich weit mächtigere Aserbaidschan wurde dabei laut der Bundeszentrale für politische Bildung von Drittstaaten wie Russland, Israel und der Türkei mit modernen Waffen beliefert. Insgesamt wurde beobachtet, dass der Konflikt militärisch auf einem völlig anderen Niveau geführt wurde als noch in den 90er Jahren, weil die Konfliktparteien zwischenzeitlich militärisch aufgerüstet hatten.

Welche Rolle hat Russland in dem Konflikt – und wie geht es weiter?

Russland unterhält laut der Bundeszentrale für politische Bildung eine „strategische Partnerschaft“ mit Armenien und gilt als dessen Schutzmacht. Russland unterstützt Armenien militärisch, gilt zugleich aber als Hauptmediator in dem Konflikt. Nach den letzten kriegerischen Auseinandersetzung im Herbst 2020 hatte Russland ein Abkommen mit den beiden Parteien ausgehandelt und den vereinbarten Waffenstillstand überwacht, auch mithilfe von russischen Friedenstruppen.

Dass die Türkei seinen „Bruderstaat“ Aserbaidschan militärisch unterstütze, fordere Russland als „Ordnungsmacht“ im Südkaukasus heraus, schreibt Kaukasus-Experte Uwe Halbach in seiner Analyse. Das macht die Situation auch aktuell kompliziert. Inwiefern sich Putin nun erneut einschalten wird, bleibt abzuwarten. Und auch, ob oder inwieweit die Türkei auf den Verbündeten Aserbaidschan einwirken wird, ist noch offen.

Wie schätzt die Bundesregierung die aktuellen Auseinandersetzungen ein?

Das Auswärtige Amt in Berlin mahnt nun Deutsche in der Region in Armenien zur Vorsicht, eine Ausweitung der Kämpfe sei demnach nicht ausgeschlossen. Wer in einem von Kampfhandlungen betroffenen Gebiet sei, solle sich an einen geschützten Ort begeben und dort warten, bis man ihn sicher verlassen könne. Gerade Dschermuk ist bei ausländischen Touristen beliebt, dort befindet sich ein bekanntes Mineralbad.